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Befragung: Italien hat ein liebevolles Bild von den Deutschen
Man kennt Italiener als durchaus laute, von sich selbst aufdringlich überzeugte Zeitgenossen, die – ob links oder rechts – durch aus eine hohe Meinung von der eigenen Nation haben und auf andere Länder gerne herabblicken. Gewiss, dahinter versteckt sich eine Schwäche, eine höchst wackelige nationale Identität, deswegen neigt man auf Dauer dazu, über das Krawallige im italienischen Auftritt milde hinweg zu sehen. Aber ärgerlich ist diese kaum begründete Chuzpe dann doch immer wieder.
Zwei Monate lang befragte das Goethe-Institut unsere europäischen Nachbarn
nach ihrem Blick auf Deutschland. Was ihnen gefällt und was nicht, haben in
einer Online-Umfrage rund 13.000 Personen aus 18 Ländern beantwortet.
Die Studie trägt auch interessante Einzelnennungen zusammen, so sagt ein Pole,
er spiele nur dank Bach Klavier. Und ein Belgier hält Joachim Gauck für den
größten Deutschen. Resultate aus einzelnen Ländern werden im Feuilleton der
„Welt“ und montags ab 19 Uhr auf Deutschlandradio Kultur von europäischen
Intellektuellen kommentiert, am 9. Mai etwa Inge Feltrinelli. Das
Gesamtergebnis ist einsehbar unter goethe.de/deutschlandliste
Nun aber scheint alles ganz anders zu sein. Das Goethe-Institut hat die Italiener befragen lassen, was sie denn von den Deutschen halten – und herausgekommen ist ein rührendes Bild einer neugierigen, offenen Nation, die ein geradezu liebevolles Bild von den Deutschen hat.
Noch vor drei Jahrzehnten tauchten die Deutschen in italienischen Comics wahlweise als stramme oder verfettete Gestalten auf, die ausschließlich im Kommandoton herumschrien, dumm waren und als Italientouristen ständig "Wo ist der Birreria?“ krähten. Und „Kartoffelfresser“ war noch eine der freundlicheren Bezeichnungen für die Deutschen. Jetzt aber haben, welch ein Wunder, die Italiener das Deutschland der Dichter und Denker, aber auch das zivile, friedliche, arbeitsame und wohl geordnete Deutschland entdeckt. 1. Wer ist für Sie der/die bedeutendste Deutsche? Johann Wolfgang von Goethe Albert Einstein Ludwig van Beethoven Immanuel Kant Martin Luther Johann Sebastian Bach Karl Marx Friedrich Nietzsche Willy Brandt Otto von Bismarck 2. Welches ist für Sie das beste Buch in deutscher Sprache? Goethe: "Faust" Goethe: "Die Leiden des jungen Werther" Thomas Mann: "Buddenbrooks: Verfall einer Familie" Goethe: "Die Wahlverwandtschaften" Thomas Mann : "Der Zauberberg" Hermann Hesse: "Siddharta" Franz Kafka: "Die Verwandlung" Günter Grass: "Die Blechtrommel" Heinrich Böll: "Ansichten eines Clowns" Thomas Mann: "Tod in Venedig" 3. Welches ist für Sie der beste deutsche Film? "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck "Godbye Lenin!" von Wolfgang Becker "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders "Metropolis" von Fritz Lang "Der blaue Engel" von Josef von Sternberg "Die Welle" von Dennis Gansel "Heimat" von Edgar Reitz "Nosferatu" von Friedrich Wilhelm Murnau "Die weiße Rose" von Michael Verhoeven "Lola rennt" von Tom Tykwer 4. Welches ist für Sie das schönste deutsche Musikstück? Beethoven: 9. Sinfonie Nena: "99 Luftballons" Marlene Dietrich: "Lili Marleen" Wagner: "Walküre" Beethoven: "Für Elise" Beethoven: 5. Sinfonie Beethoven: "Mondscheinsonate" Mozart: "Zauberflöte" Beethoven: 6. Sinfonie Bach: "Brandenburgische Konzerte" 5. Welches ist für Sie das bedeutendste deutsche Bauwerk? Reichstagsgebäude Brandenburger Tor Kölner Dom Berliner Mauer Jüdisches Museum Berlin Schloss Neuschwanstein Bauhaus Dessau Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche Fernsehturm Alexanderplatz Rotes Rathaus Berlin 6. Welches ist für Sie die wichtigste Erfindung aus Deutschland? Buchdruck Verbrennungsmotor Auto Relativitätstheorie Aspirin Röntgenstrahlung Computer (Konrad Zuse) Wurst Philosophie Bier 7. Welches ist das bedeutendste historische Ereignis, das Sie mit Deutschland verbinden? Mauerfall und Wiedervereinigung Zweiter Weltkrieg Reformation Weimarer Republik Erster Weltkrieg Mauerbau Deutsch-französischer Krieg Heiliges Römisches Reich Dreißigjähriger Krieg Nürnberger Prozesse / Schlacht im Teutoburger Wald 8. Wer ist für Sie der /die bedeutendste deutsche Sportler(in)? Michael Schuhmacher Franz Beckenbauer Boris Becker Steffi Graf Karl-Heinz Rumenigge Gerd Müller Bastian Schweinsteiger Carl Ludwig "Lutz" Long Katharina Witt Michael Ballack 9. Was gefällt Ihnen überhaupt nicht an Deutschland? Klima / schlechtes Wetter Starrheit deutsche Küche Nichts Geschichte des Nationalsozialismus Arroganz Reserviertheit / Kälte Rechtsradikalismus Sauerkraut Kleidungsstil 10. Was gefällt Ihnen am besten an Deutschland? Sprache Respekt der Regeln / des Allgemeinguts Kultur Organisation Umweltschutz Landschaft Aufrichtigkeit Ordnung / Sauberkeit Ernsthaftigkeit Effizienz
Wer sind für Italiener die zehn bedeutendsten Deutschen? Die Antworten sind wie dem Bilderbuch des untergegangenen deutschen Bildungsbürgertums entnommen. Da ist vorweg das klassische Erbe, das Wahreschönegute, mit kleinem humanitätskritischem Schauder-Einschlag: auf dem ersten Platz Goethe, der helle Titan; auf weiteren Rängen folgen Beethoven, der Wohltönende, der humanpathetische Weltumarmer; Kant, der scharfe, aber so gesellige Selbstverantwortungsgeist aus dem heute so fernen Königsberg; Bach, der Tiefe, der Klare; und Nietzsche, der Widergeist, der mit der Verneinung des Guten experimentierte.
Einstein – Wissenschaftbeschleuniger, Jude und Kosmopolit – wird ebenso gewürdigt wie der Gesellschafts- und Umwälzungsfanatiker Marx. Auch Martin Luther, der Mann, der Deutschland spaltete und ungewollt modernisierte, taucht auf mittlerem Rang auf; an anderer Stelle wird die Reformation als das drittwichtigste Ereignis der deutschen Geschichte genannt – wie überhaupt die nicht mehr sehr katholischen Italiener mehr das protestantische, also das andere, Deutschland interessiert.
Und nur zwei Politiker haben es unter die ersten Zehn geschafft: Willy Brandt, der Deutschland wieder heimholende Friedensmann, und Otto von Bismarck, der straffe Reichsgründer, der viel geschaffen und viel behindert hat und den man im erinnerungsgeschädigten Deutschland längst vergessen hat. Kein Hegel, kein Hitler, kein Jünger, kein Ratzinger, kein Wilhelm II. Deutschland wir hier grosso modo als ein entschlossenes, aber moderates Land gewürdigt.
In dieser Bahn laufen die Antworten immer weiter: Bei den besten Büchern liegen Goethe und Thomas Mann mit je drei Nennungen vorne, artig folgen Hesse, Kafka, Grass und Böll. Es geht einem das Herz auf, wenn man liest, was man in Italien für die wichtigsten Erfindungen aus Deutschland hält.
Ensemble vergangenen Gelingens
Es ist ein Ensemble vergangenen Gelingens, das Abstrakte und das Konkrete, das Nützliche und das interesselos Schwebende, das Hohe und das Niedere, Alltag und Feiertag friedlich vereint: Buchdruck, Verbrennungsmotor, Auto, Relativitätstheorie, Aspirin, Röntgenstrahlung, Computer (Konrad Zuse) – und dann ein wunderbarer Dreiklang am unteren Ende der Skala: Wurst, Philosophie, Bier.
Ja, das war Deutschland gewesen; ja, das hätte es weiter sein können – wäre es nur auf Gründungspfad geblieben, auf dem es sich vor Erstem und Zweiten Weltkrieg befunden hatte und den Stefan Zweig in seinen kurz vor dem Selbstmord geschriebenen Erinnerungen „Die Welt von gestern“ schmerzerfüllt verherrlicht hat. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Italiener uns mit so viel Interesse, Empathie und Neugier für unsere vorvergangenen Stärken schön zeichnen. Mein Gott, was hätte aus Deutschland werden können!
Nicht, dass diese Italiener Deutschland verklärten: Das Klima, die Küche (dies übrigens zu Unrecht) und den Kleidungsstil mögen sie gar nicht. Nicht, dass sie Deutschlands dunkle und tiefdunkle Seiten übersähen: Starrheit und Arroganz stoßen ihnen unangenehm auf, und die Geschichte des Nationalsozialismus, der das alte Deutschland zerstört hat, ist nicht vergessen. Und doch: Interesse und Anerkennung überwiegen. Woher kommt diese italienische Freundlichkeit gegenüber über uns und unserer Geschichte?
Es liegt wohl daran, dass die Italiener in doppelter Weise Glück gehabt haben. Auch sie haben sich im vergangenen Jahrhundert in den Totalitarismus gestürzt – doch sie haben ihn, auf konsequente Weise unkonsequent, nicht bis zur Neige betrieben. Der Faschismus hat ihre nationale Identität nicht beschädigen können (was freilich auch ein gutes Stück Selbstbetrug enthält).
Nicht erschütterbares Wurzeln in ältesten Traditionen
Und das half ihnen zweitens, ihr tiefes und nicht erschütterbares Wurzeln in ältesten Traditionen. Die Geschichte des spät vereinten Landes ist so lang und so herrlich, dass sie sich – vom Römischen Reich über päpstliche Weltmacht, Renaissance und glanzvolle Stadtstaaten bis ins Risorgimento hinein – immer noch zu freudiger Identifikation anbietet.
In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts lernte ich in Frankfurt am Main nach Deutschland entsandte Aktivisten der linksradikalen Organisation „Lotta Continua“ kennen. Es waren Zeiten des Aktivismus und, in Deutschland, einer überheblich-dumpfen linken Kultur- und Traditionsverachtung – Goethe, Kant und Thomas Mann waren allenfalls etwas für das vom Kollektiv nicht einsehbare stille Kämmerlein.
Was wäre wohl, wenn Deutsche befragt würden?
Wie hat es uns damals verblüfft, dass diese radikalen Italiener im düsteren Deutschland immer wieder ausführlich aus der geliebten „Divina Commedia“ Dantes oder aus den schwermütigen Gedichten Giacomo Leopardis deklamierten: das Erbe als ein Feuer, an dem sie sich in der kühlen Fremde wärmten.
Ich habe da erstmals etwas Schönes gelernt, das für uns jedoch schmerzlich war. Der Nazi-Graben, der uns Deutsche immer noch von den gelungenen Teilen unserer Geschichte trennt – für die Italiener gab und gibt es ihn weder in Hinblick auf die eigene, noch die deutsche Geschichte. Das machte und macht sie unbefangener, neugieriger. Sicher, gerne gruseln sie sich ein bisschen über Butzenscheiben, Sauerkraut und zuviel Wagner.
Aber eigentlich mögen sie die seltsam introvertierten, so erfolgreichen, sich oft selbst im Wege stehenden und inzwischen doch recht aufgeklärten Deutschen. Was aber wäre wohl, wenn Deutsche befragt würden, welche Bücher italienischer Autoren für sie die besten seien? Käme mehr als Camilleri und Eco? So sehr es uns seit Jahrhunderten sehnsuchtsvoll in das Land zieht, wo nicht nur die Zitronen blühen – sein Patrimonium ist uns ein unbekanntes Land. Schade.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (09.05.2011)
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