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Bert Rürup: "Deutschland geht es zu gut für Reformen"
Kaum hatte Paul Kirchhof sein Steuergesetzbuch vorgestellt, brach quer durch alle Parteien eine Diskussion los. Sein Konzept, das nur noch 146 statt 33.000 Paragrafen besitzt, schlägt die Streichung von Vergünstigungen wie der Pendlerpauschale vor. Im Gegenzug will der Heidelberger Staatsrechtler den Steuersatz auf einheitlich 25 Prozent senken. Vor allem dieser Vorschlag wurde von Politikern kritisiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf ihm vor, „den Sozialstaat abschaffen“ zu wollen. In der Union wurde zwar grundsätzliche Sympathie bekundet, aber von vielen auch betont, dass Kirchhofs Reform nicht umsetzbar sei.
Auch aus dem Finanzministerium hieß es: „Einführung kaum vorstellbar“. Warum dieser Widerstand? Bert Rürup hat viele Sozialreformen in Deutschland angestoßen. Ein Gespräch über Politikberatung und den richtigen Zeitpunkt für Reformen.
Welt Online: Herr Rürup, die Steuerpläne von Paul Kirchhof sorgen für Aufsehen. Sie kennen sich mit Großreformen aus. Schließlich waren Sie einer der Köpfe hinter der Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Halten Sie die Umsetzung von Kirchhofs Vorschlägen für realistisch?
Bert Rürup: Sein Bundessteuergesetzbuch ist zweifellos eine intellektuelle Großtat, aber definitiv keine Blaupause für eine Steuerreform, die unser Land braucht.
Welt Online: Warum? Sie haben es doch auch geschafft, grundlegende Reformen zu realisieren, etwa die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe oder die Einführung der Riesterrente?
Rürup: Kollege Kirchhof will radikal vereinfachen. Nur Einfachheit ist kein steuerpolitisches Ziel an sich. Ein Steuersystem muss wachstums- und beschäftigungsfreundlich, ergiebig und verteilungspolitisch zielgenau sein. Von diesen drei Zielen wird im Wesentlichen nur das erste erfüllt. Für die Abschaffung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen – wenn auch nicht in der vorgeschlagenen radikalen Art – gibt es gute Gründe.
Es gibt aber kein Argument für die Überlegenheit einer Flat Tax oder den propagierten Dreistufentarif gegenüber einem linear-progressiven Tarif. Die Ungleichheit der Verteilung der Einkommen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Durch das Konzept von Herrn Kirchhof würde diese Entwicklung einen weiteren Schub bekommen. Von daher sehe ich keine Chance einer politischen Umsetzung. Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat in Eigenregie ein Konzept für eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts vorgelegt. Danach soll es künftig nur noch vier Steuern geben: auf Einkommen, Umsatz, Erbschaften und Verbrauch. Die Eckpunkte im Überblick: Für Einkommen soll generell ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent gelten. Kleinere Abstufungen sind nur für Geringverdiener vorgesehen. Die ersten 10.000 Euro bleiben steuerfrei, dann steigt die Steuerlast in zwei Stufen an, ab 20.000 Euro werden die vollen 25 Prozent fällig. Alle Steuervergünstigungen sollen abgeschafft werden, ebenso die Unterscheidung zwischen den aktuell sieben Einkunftsarten. Auch die verschiedenen Steuersätze von 15 Prozent (Körperschaftssteuer), 25 Prozent (privates Kapitalvermögen) und 14 bis 45 Prozent (progressive Einkommensteuer) entfallen. Auch alle Unternehmen sollen einheitlich dieselbe Einkommenssteuer zahlen. Personen- und Kapitalgesellschaften bilden jeweils eine steuerjuristische Person, bei der die Steuer erklärt und erhoben wird. Die Weitergabe des bereits versteuerten Gewinns an Beteiligte gilt als Weitergabe von Vermögen und ist damit steuerfrei. Die Gewerbesteuer wird abgeschafft. Stattdessen soll ein kommunaler Zuschlag auf alle in der Gemeinde erwirtschafteten Einkommen erhoben werden, den die Kommunen selbst festlegen dürfen. Für Erbschaften soll nur noch ein einheitlicher Steuersatz von zehn Prozent gelten. Erbschaften unter Ehegatten bleiben generell steuerfrei. Für Kinder gibt es Freibeträge von 400.000 Euro, für alle anderen Erben 50.000 Euro. Wenn – insbesondere bei Unternehmen – das ererbte Vermögen kaum Liquidität vermittelt, kann die Steuer auf zehn Jahre in gleichen Jahresraten zinslos gestundet werden. Bei der Umsatzsteuer wird auf den komplizierten Vorsteuerabzug verzichtet. Leistungen zwischen Unternehmen sollen grundsätzlich steuerfrei bleiben, wenn sie über prüfbare Bankkonten abgewickelt werden und eine umsatzsteuerliche Identifikationsnummer erkennbar ist. Die Steuererhebung wird von der Soll- auf die Ist-Besteuerung umgestellt. Das heißt, der Unternehmer muss die Steuer erst dann abführen, wenn der Kunde die Rechnung auch tatsächlich bezahlt hat. Für den Verbrauch bestimmter Güter, die die Allgemeinheit belasten, wird eine Verbrauchssteuer erhoben. Dies betrifft Energie, Tabak und Alkohol. Die Verbrauchssteuer ersetzt eine Vielzahl von Sondersteuern, etwa auf Branntwein, Bier, Schaumwein, Kaffee und Mineralöl.
Welt Online: Herrn Kirchhof treffen dieselben Vorwürfe wie Sie damals: Sein Konzept sei sozial ungerecht.
Rürup: In der Tat erging es mir damals ähnlich. Der Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit wird schnell erhoben, ohne die tatsächlichen Wirkungen des gesamten Reformvorschlags zu prüfen. Bei jedem Reformkonzept muss zudem die Umsetzbarkeit mitgedacht werden.
Natürlich hatte auch ich die Sehnsucht nach dem ganz großen Wurf. Aber die Erfahrung sagte mir: Kleine Schritte, die in die gleiche Richtung getan werden, sind besser als ein Big Bang, der in aller Regel ein Konzept bleibt und nie umgesetzt wird.
Welt Online: Das mussten auch Sie bitter erfahren. Als Sie die einkommensunabhängige Gesundheitsprämie mit steuerfinanziertem Sozialausgleich vorschlugen, da hieß es: Eine Krankenschwester kann doch nicht dieselben Versicherungsbeiträge zahlen wie ein Oberarzt. Mit dem gleichen Argument wird nun Kirchhofs einheitlicher Steuersatz kritisiert.
Rürup: Hier vergleichen Sie zwar Äpfel mit Birnen. Aber richtig ist, das Prämienmodell ist derzeit chancenlos. Spätestens die Bundestagswahl 2005 hat gezeigt, dass diese Idee bei uns keine politischen Mehrheiten findet. Ökonomisch und verteilungspolitisch war das Konzept der Gesundheitspauschale in Kombination mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich richtig, nur offensichtlich kaum zu vermitteln.
Welt Online: Was zeichnet denn einen erfolgreichen Politikberater aus?
Rürup: Vom früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt habe ich einen wichtigen Grundsatz gelernt und beherzigt. Er sagte: „In der Demokratie muss jedem gestaltenden Schritt ein Mehrheiten beschaffender Prozess vorausgehen.“ Das bedeutet: Der Politikberater muss ein Konzept entwickeln, aber es muss so portionierbar sein, dass es umsetzbar ist.
Die Reform der Altersvorsorge fand in unterschiedlichen Etappen statt: Es begann mit der Riesterreform 2001, es folgte der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung ab 2005 und schließlich 2007 die Einführung der Rente mit 67. Man hätte niemals dies alles auf einmal durchführen können. Ein richtiges Timing ist wichtig. Der richtige Ausbau der Kapitaldeckung wäre 2008/09 – nach der Finanzkrise – politisch nicht möglich gewesen.
Welt Online: Also müsste Herr Kirchhof sein Konzept nur portionieren und den richtigen Zeitpunkt abwarten?
Rürup: Paul Kirchhof bezeichnet seinen Vorschlag als ein Angebot an die Politik. Aber deswegen ist er kein Politikberater, da er die eben zitierte Erkenntnis von Helmut Schmidt völlig ignoriert. Zudem muss ein Politikberater berücksichtigen, dass er sich nicht in einer Terra nova befindet und er sich deshalb mit den bestehenden institutionellen Gegebenheiten und Niederungen auseinandersetzen muss.
Ich habe immer zuerst sehr intensiv mit Fachleuten aus der Verwaltung gesprochen, bevor ich etwas der Öffentlichkeit vorgestellt habe.
Welt Online: In Deutschland scheinen die Zeiten für Reformen momentan generell nicht gut zu sein. Zumindest bringt die schwarz-gelbe Koalition nach dem Eindruck vieler kaum etwas Wegweisendes zustande.
Rürup: In der Tat, die derzeitige Regierung hat bislang keine gute Figur abgegeben. Es könnte allerdings auch sein, dass es unserem Land für größere Reformen momentan zu gut geht. Da jede Reform immer Gewinner wie auch Verlierer hat, sind in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Politiker oft mutiger, und die Bevölkerung hat mehr Verständnis für Einschnitte.
2002/03 stand Gerhard Schröder wirtschaftspolitisch mit dem Rücken an der Wand. Die Agenda 2010 hätte es nicht gegeben, wenn die gesamtwirtschaftliche Lage nicht so angespannt gewesen wäre. In guten Zeiten werden Reformen eher zurückgedreht. Insofern bin ich schon froh, dass das gerade nicht passiert.
Welt Online: Der heftige Wirtschaftseinbruch im Jahre 2009 wurde aber auch nicht für Erneuerungen genutzt.
Rürup: Das sehe ich anders. In keinem wirtschaftspolitischen Textbuch gab es eine Blaupause zur Bewältigung der Probleme nach der Pleite von Lehman Brothers. Politik und Zentralbanken in allen wichtigen Ländern haben aus meiner Sicht unorthodox, schnell und damit richtig gehandelt. Wir haben uns aus der Krise herausgekauft. Die Rechnung müssen wir aber noch bezahlen.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (01.07.2011)
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