Börsenregel: Warum Anleger jetzt wieder Aktien kaufen sollten
Sell in May and go away – selten hat diese alte Börsenregel so gestimmt wie in diesem Jahr. Am 2. Mai erreichten die Kurse am Aktienmarkt ihren Höhepunkt. Der deutsche Aktienindex (Dax) kletterte damals auf einen Schlusskurs von 7528 Punkten. Und von da an ging es abwärts. Ganz schlimm war es in dem nun zu Ende gehenden August, so dass die Kurse heute rund 25 Prozent tiefer stehen als Anfang Mai.
Wer also im Mai verkauft hatte, der konnte seine Gewinne über die schlimme Zeit retten. Doch wer weg geht, muss auch irgendwann zurückkommen. So lautet denn der zweite Teil der Börsenregel: But always remember, come back in September. Ist also jetzt die richtige Zeit, den Wiedereinstieg zu wagen? Oder sollten diejenigen, die den Absprung im Mai nicht geschafft haben, jetzt bei den niedrigeren Kursen nachkaufen? Wer sich allein auf Statistiken verlassen will, der sollte frühestens zum Ende des Septembers wieder an die Börse zurückkehren. Denn betrachtet man die Wertentwicklung an der amerikanischen Börse seit 1929, so war der September über die Jahrzehnte hinweg der schlechteste Börsenmonat von allen. 1,1 Prozent ging es im Durchschnitt nach unten. Darauf folgten dann jedoch, so die Historie, vier Monate mit positiven Renditen. Noch eindeutiger wird das Bild sogar, wenn man nur die Zeit seit 1990 heranzieht. Demnach zeichnen sich die drei letzten Monate des Jahres durch besonders hohe Gewinnchancen aus.
Allerdings: Diese Zahlen beruhen zu einem guten Teil darauf, dass in den vergangenen zehn Jahren gleich zwei Mal im September Katastrophen passierten, die die Börsen in den Abgrund rissen. 2001 ereigneten sich die Terroranschläge von New York und Washington, 2008 rutschte die Investmentbank Lehman Brothers in die Pleite. Beide Male stürzten die Kurse anschließend drastisch ab.
Rechnet man diese Ereignisse heraus, steht der September schon gar nicht mehr so schlecht da. Zudem ist in diesem Jahr der Absturz eben schon im August erfolgt. Dies hat dazu geführt, dass der Markt bereits eine deutliche Verlangsamung des Wachstums einpreist und folglich die Fallhöhe inzwischen deutlich geringer ist. „Nach unseren Schätzungen preist der Markt für den S&P 50 und den Eurostoxx 50 für dieses und nächstes Jahr bereits einen Rückgang bei den Unternehmensgewinnen ein“, sagt Claudia Panseri, Strategin bei der Société Générale. Der Markt rechnet also schon mit deutlich schlechteren Zeiten.
Die Frage ist jedoch, ob nicht alles vielleicht noch schlechter kommt, sprich, ob die USA und weite Teile der Welt nicht doch in eine Rezession abrutschen. Für Deutschland wird das Risiko allgemein am geringsten gesehen, viele andere Länder stehen jedoch schon gefährlich nahe an der Grenze zwischen Nullwachstum und schrumpfender Wirtschaft.
Große Unterschiede zwischen Branchen
Sollten sie diese überschreiten, könnte es an den Börsen noch ein Stück weiter nach unten gehen. Dies zeigt ein Blick auf die Rezessionen der Vergangenheit. Seit 1929 gab es in den USA 14 Rezessionsphasen, die im Durchschnitt fünf Quartale dauerten. Die Firmengewinne schrumpften dabei im Durchschnitt zwar nur um 3,2 Prozent.
Dieses erstaunliche Ergebnis kommt jedoch vor allem deshalb zustande, weil beispielsweise in den 70er Jahren die Wirtschaft zwar in die Rezession abrutschte, die Firmen jedoch dennoch ihre Gewinne steigern konnten. Dies wiederum war möglich, weil die Ursache für die Rezession damals ein externer Effekt war, der Ölpreisschock. 1929-32Dauer der Rezession in Quartalen: 11Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 9Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -61,8 Prozent 1953/54Dauer der Rezession in Quartalen: 3Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 0Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 7,2 Prozent 1957/58Dauer der Rezession in Quartalen: 2Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 3,1 Prozent 1960/61Dauer der Rezession in Quartalen: 4Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -0,6 Prozent 1969/70Dauer der Rezession in Quartalen: 7Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 4Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -9,3 Prozent 1973-75Dauer der Rezession in Quartalen: 8Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 37,4 Prozent 1977/78Dauer der Rezession in Quartalen: 5Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 7,6 Prozent 1980Dauer der Rezession in Quartalen: 1Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -1,6 Prozent 1981/82Dauer der Rezession in Quartalen: 8Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 6Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -5,5 Prozent 1987Dauer der Rezession in Quartalen: 2Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 6,1 Prozent 1990/91Dauer der Rezession in Quartalen: 2Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 1Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -0,3 Prozent 1998Dauer der Rezession in Quartalen: 1Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 0Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: 9,9 Prozent 2000-02Dauer der Rezession in Quartalen: 12Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 6Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -33,6 Prozent 2007/08Dauer der Rezession in Quartalen: 6Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 5Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -45,9 Prozent DurchschnittDauer der Rezession in Quartalen: 5,1Zahl der Quartale mit fallenden Firmengewinnen: 2,6Gewinnveränderung insgesamt während der Rezession: -3,2 Prozent Quelle: SG Cross Asset Research
Bei den beiden letzten Krisen, nach dem Platzen der Internetblase und während der Finanzkrise, rasten die Firmengewinne dagegen weit stärker in die Tiefe, um fast die Hälfte bzw. mehr als ein Drittel. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Rezession eher jener von 2000 bis 2002 als jener der Finanzkrise gleichen würde, so wäre trotzdem noch ein deutlicher Absturz der Gewinnprognosen und der Aktienkurse zu erwarten.
Allerdings gilt auch dies wiederum nur im Durchschnitt. Denn die Lage unter den Branchen ist höchst unterschiedlich. „Einige Sektoren preisen bereits etwas ein, das schlimmer ist als 2008, andere dagegen preisen fast noch gar keinen Abschwung ein“, sagt Ian Scott, Anlagestratege bei der Investmentbank Nomura.
Zu den heftig abgestraften Branchen gehören beispielsweise der Finanzsektor, aber auch Lebensmitteleinzelhändler, Ölfirmen und Medienunternehmen. Weniger betroffen waren dagegen bislang Chemiefirmen, Luxusgüterhersteller oder Lebensmittelproduzenten. Die Frage ist, wann der Markt diese Unterschiede wahr nimmt. „Das mag etwas dauern“, glaubt Scott. Und vielleicht dauert es auch noch bis November. Oder sogar darüber hinaus.
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