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Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe kippt Regelung zur Sicherungsverwahrung
Das Bundesverfassungsgericht hat alle bestehenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Extrem gefährliche Straftäter dürfen aber zum Schutz der Bevölkerung bis zu einer Neuregelung weiter eingesperrt bleiben, entschied das Gericht. In sogenannten Altfällen muss die besondere Gefährlichkeit der Betroffenen bis Jahresende geprüft werden.
Diese „normale“ Sicherungsverwahrung wird in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle verhängt. Sie wird schon mit dem Strafurteil angeordnet.
Sie wurde im Jahr 2002 eingeführt. Damit konnten die Gerichte eine
Sicherungsverwahrung im Urteil zunächst nur androhen. Vor dem Ende des
Strafvollzuges wurde dann aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose
entschieden, ob sie tatsächlich verhängt wurde.
Sie wurde 2004 eingeführt. Diese Maßregel konnte unter bestimmten
Voraussetzungen erst am Ende der Haftzeit kurz vor Entlassung angeordnet
werden. Dann nämlich, wenn vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe „neue
Tatsachen“ für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar wurden.
Doch solche „neuen“ Tatsachen für die Gefährlichkeit erkannten die Gerichte
nur in seltenen Fällen an. In mehreren Fällen wurden von den Gerichten
Anträge auf nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt, so dass auch
nachweislich gefährliche Sexualverbrecher auf freien Fuß kamen – und deshalb
mit hohem polizeilichem Aufwand überwacht werden mussten.
Die Zahl der Sicherungsverwahrten in Deutschland – meist gefährliche Sexual-
oder Gewaltverbrecher – ist im vergangenen Jahrzehnt von 257 im Jahr 2001
auf inzwischen rund 500 gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt.
Quelle: dapd
Laut Urteil verstoßen die früheren Regelungen zur rückwirkenden Verlängerung der zuvor auf zehn Jahre befristeten Sicherungsverwahrung sowie zu ihrer nachträglichen Anordnung ebenso gegen das Freiheitsrecht der Betroffenen wie die Gesetzesreform vom Dezember 2010.
Das Gericht begründete dies damit, dass sich die Sicherungsverwahrung, die nur dem Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern dient, nicht deutlich genug von einer Strafhaft unterscheidet. Dieses sogenannte Abstandsgebot hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg im Dezember 2009 eingefordert.
Der Gesetzgeber wurde mit weitreichenden Vorgaben verpflichtet, die Sicherungsverwahrung bis Mai 2013 grundlegend zu reformieren und ein „freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept“ zu entwickeln. Die Betroffenen müssen demnach etwa durch qualifizierte Fachkräfte so intensiv therapeutisch betreut werden, dass sie „eine realistische Entlassungsperspektive“ haben. Ihr Leben in Verwahrung muss zudem so weit wie möglich „den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst“ und ihnen familiäre und soziale Außenkontakte ermöglicht werden.
Von den verbliebenen rund 70 Altfällen, die sich nach früheren Regelungen derzeit noch in Sicherungsverwahrung befinden, dürften nun viele bis Jahresende auf freien Fuß kommen. Laut Urteil können nur noch die Täter weiter festgehalten werden, von denen eine „hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ ausgeht und die zudem an einer „zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung“ leiden. Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen Sicherungsverwahrung geht auf die Verfassungsbeschwerden von vier Sexual- und Gewaltstraftätern zurück: Zwei von ihnen befinden sich in Bayern in Sicherungsverwahrung, einer in Baden-Württemberg und einer in Nordrhein-Westfalen. Ein Beschwerdeführer befand sich nach seinem 20. Lebensjahr nur für kurze Zeit in Freiheit. Seinen wiederholten Haftstrafen lagen unter anderem Verurteilungen wegen Diebstählen zugrunde, nachdem er in Wohnungen alleinstehender Frauen eingedrungen war. Im Jahr 1978 hatte er bei einem solchen Diebstahl eine Vergewaltigung begangen. Zuletzt wurde er 1995 wegen Diebstahls in zwei Fällen verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einer bayerischen Haftanstalt angeordnet. Bei dem Mann, bei dem die Therapie gescheitert war, gebe es eine "hohe Wahrscheinlichkeit", dass er weitere Sexualdelikte begehen würde. Ein zweiter Kläger wurde 1984 unter anderem wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt. Nach Verbüßung der sechsjährigen Haftstrafe wurde er 1989 entlassen. Anfang 1991 wurde er erneut wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zugleich wurde wegen fortwährender Gefährlichkeit und "sadistischer Neigungen" Sicherungsverwahrung in einer Haftanstalt in Nordrhein-Westfalen angeordnet – die vom Oberlandesgericht Köln bestätigt wurde.
Beide Männer waren im Jahr 2009 jeweils zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Nach der früher geltenden zehnjährigen Höchstfrist wären sie damit zwingend zu entlassen gewesen. Doch bei ihnen wurde die Maßregel mit Blick auf die seit 1998 geltende Abschaffung der Zehnjahresfrist rückwirkend verlängert.
Gegen den dritten und vierten Beschwerdeführer wurde vor Ende der Haftzeit nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der dritte Beschwerdeführer wurde 1999 wegen eines im Alter von 19 Jahren begangenen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Er hatte eine Fahrradfahrerin vom Rad gerissen, sie erdrosselt und über der Leiche der Frau onaniert. Drei Tage vor der Verbüßung der Strafe wurde gegen ihn im Juni 2009 vom Landgericht Regensburg wegen hoher Gefährlichkeit nachträglich seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Er befindet sich in der JVA Straubing. Der vierte Kläger war bereits im Juli 2010 mit einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er ist wegen schwerer Sexualdelikte vorbestraft und befindet sich seit 1973 – abgesehen von wenigen Monaten – fortlaufend in Haft. Zuletzt wurde er 1990 wegen versuchter Vergewaltigung und wegen Mordes verurteilt. Gegen ihn hatte das Landgericht Baden-Baden im August 2009 die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, weil er weiterhin „hochgradig" gefährlich sei.
Quelle: dapd
Die Richter verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass auch nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine nachträglich verlängerte oder angeordnete Sicherungsverwahrung nur unter der Voraussetzung einer psychischen Störung zulässig ist. Das seit Januar geltende Therapieunterbringungsgesetz greift diesen Gedanken den Richtern zufolge bereits auf.
Auf dessen Grundlage könnten dann psychisch gestörte und weiterhin gefährliche Rückfalltäter in therapeutischen Einrichtungen verwahrt werden.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (04.05.2011)
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