DIW-Berechnung: Was die Euro-Rettung den Steuerzahler kosten wird
Ein Wort strapazierte Angela Merkel (CDU) bei ihrer Regierungserklärung zum Euro am Donnerstag besonders: profitieren. „Deutschland profitiert vom Euro. Deutschland profitiert vom Euro wie kaum ein anderes Land“, sagte sie. Und: „Wir profitieren von der Preisstabilität. Wir profitieren davon, dass wir beim Reisen keine lästigen Umtauschgebühren mehr bezahlen müssen.“ Die Unternehmen „profitieren“ von Exporten in andere Euro-Länder.
Griechenland steckt nach Prognose der Zentralbank tief in der Rezession fest.
Sie sagt für dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von
mindestens drei Prozent voraus. „Die Rezession dämpft den privaten Konsum
und die Investitionen“, schrieben die Notenbanker. Im abgelaufenen vierten
Quartal 2010 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,4 Prozent
verglichen mit dem vorangegangenen Vierteljahr. Im dritten Quartal hatte es
bereits einen Einbruch um 1,7 Prozent gegeben.
Die ohnehin langsame Erholung der italienischen Wirtschaft ist Ende 2010 fast
zum Erliegen gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen Oktober und
Dezember nur um 0,1 Prozent zum Vorquartal – halb so stark wie erwartet. Im
dritten Quartal war das BIP noch um 0,3 Prozent geklettert. Während der
Export gut lief, hielten sich die Verbraucher beim Einkaufen zurück.
Experten trauen der italienischen Wirtschaft 2011 lediglich ein Wachstum von
einem Prozent zu.
Portugal kämpft gegen einen Rückfall in die Rezession. Im vierten Quartal
schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent. Im Sommer war die
Wirtschaft noch um 0,3 Prozent gewachsen. Experten befürchten eine Rückkehr
der Rezession, weil die Regierung im Kampf gegen die Schuldenkrise Steuern
erhöht und Löhne für Staatsbedienstete gekürzt hat, was den Konsum belastet.
Die Regierung rechnet zwar für 2011 mit einem Wachstum von 0,2 Prozent. Doch
die meisten Experten sagen ein Minus von bis zu einem Prozent voraus.
Spaniens Wirtschaft kämpft sich im Schneckentempo aus der Krise. Zum
Jahresende wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent. Experten sehen
gute Chancen, dass die Rezession überwunden ist und die Wirtschaft in diesem
Jahr in die Gänge kommt. Allerdings dürfte das Wachstum mager ausfallen,
weil die Krise am Bausektor und das harte Sparprogramm der Regierung
dämpfen. Diese rechnet für 2011 mit einem Plus von 1,3 Prozent, nach einem
Minus von 0,1 Prozent im alten Jahr. Viele Experten trauen Spanien aber nur
ein gut halbes Prozent Wachstum zu.
Auch in Irland läuft es nicht gut. Nur ein Prozent Wachstum erwarten
Notenbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds für das einstige
Boomland. 2010 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent. Während
der Export die Wirtschaft anschieben dürfte, sieht es für den privaten
Konsum schlecht aus. Die Regierung in Dublin hat im Gegenzug für das 85
Milliarden Euro große Hilfspaket von EU und IWF unter anderem den
Mindestlohn gesenkt und die Mehrwertsteuer angehoben. Reuters
Für alle, die noch Zweifel hegen, machte die Kanzlerin eine Rechnung auf: Durch entfallende Umtauschkosten würden in der Euro-Zone 20 bis 25 Milliarden Euro jährlich eingespart. „Dieses Geld kann an anderer Stelle investiert werden“, so Merkel. Dass es neben der Habenseite beim Euro auch eine Sollseite gibt, betonte die Kanzlerin nicht. Dabei ist Letztere am Freitag wieder um einige Positionen länger geworden. Gut ein Jahr nach Ausbruch der Euro-Krise hat der EU-Gipfel die größte Reform seit Bestehen der Euro-Zone auf den Weg gebracht. Eine Währungsunion 2.0 soll die Dauerkrise beenden und das Überleben der Gemeinschaftswährung sichern. Merkel und ihre Kollegen haben einen neuen Rettungsfonds (ESM) beschlossen. Er soll ab 2013 einspringen, wenn erneut ein Staat von der Pleite bedroht ist. Der ESM, der den bisherigen Rettungsschirm EFSF ablöst, wird 700 Milliarden Euro schwer. Hauptstütze ist Deutschland: Es muss 168 Milliarden Euro an Garantien plus eine Bareinlage von 22 Milliarden Euro in den Rettungsfonds einbringen. Gewaltige Summen, selbst bei der Euro-Krise, bei der seit einem Jahr mit großen Zahlen hantiert wird. Schließlich steht Deutschland bereits im Feuer: Bei der Griechenland-Hilfe hat sich die Bundesregierung mit 22 Milliarden Euro engagiert, beim befristeten Rettungsschirm EFSF garantiert Berlin 123 Milliarden Euro. Angesichts dieser Dimensionen stellt sich die Frage nach dem Risiko für den Bundeshaushalt. Sind diese Verpflichtungen unproblematisch, da sie wahrscheinlich eh nie eingelöst werden? Oder ist das Geld weg?
Die „Welt am Sonntag“ hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gebeten, Szenarien durchzurechnen, wie teuer Euro-Rettungsmaßnahmen für den deutschen Staatshaushalt werden könnten. Das Ergebnis: Im schlimmsten Fall drohen dem Finanzminister binnen weniger Jahre Kosten in Höhe von 35 Milliarden Euro. Sehr viel Geld. Wenn aber der ärgste Fall nicht eintritt, könnte der Steuerzahler noch halbwegs ungeschröpft davonkommen. „Die unmittelbaren finanziellen Belastungen sind weniger schlimm als angenommen“, sagt Christian Dreger, der Leiter der Konjunkturabteilung beim DIW. „Die Euro-Rettung wird vielleicht gar nicht so teuer werden.“ Vielleicht. Oktober 2009Die neue griechische Regierung revidiert die Staatsverschuldung drastisch nach oben, das Vertrauen in die Staatsfinanzen beginnt zu sinken. 16. DezemberS&P’s stuft als zweite Ratingagentur Griechenlands Kreditwürdigkeit herab. Spekulationen auf eine Staatspleite werden beflügelt. Der Euro bricht ein. 25. März 2010Die Eurogruppe sagt Athen ein Hilfspaket aus bilateralen Krediten unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu.Eine Taskforce unter Leitung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wird eingesetzt, um eine Reform des Stabilitätspaktes auszuarbeiten. 23. AprilGriechenland beantragt das Hilfsprogramm. 7. MaiTrotz des Rettungsschirms für Athen rauscht der Euro weiter in den Keller. Spanien und Portugal drohen in den Sog zu geraten. Weltweite Kursverluste schüren die Nervosität.Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) warnt vor einer „systemischen Krise". Die EU-Staats- und Regierungschefs beschließen einen Rettungsschirm für die gesamte Euro-Zone. 10. MaiDie EU-Finanzminister einigen sich auf einen 750 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm unter Beteiligung des IWF. 18. OktoberMerkel lässt ihre Forderung nach automatischen Sanktionen fallen und erhält Rückendeckung von Sarkozy für Vertragsänderungen sowie eine Beteiligung privater Gläubiger an einem permanenten Rettungsmechanismus.Der Beschluss zur Einbeziehung von Investoren jagt die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen für Euro-Sorgenkinder in die Höhe. 29. OktoberDer EU-Gipfel gibt grünes Licht für begrenzte Vertragsänderungen und eine Gläubigerbeteiligung.Die Finanzmärkte reagieren nervös, Irland gerät immer stärker unter Druck. 21. NovemberIrland beantragt Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm. 28. NovemberDie EU-Finanzminister gewähren Dublin ein Hilfspaket von 85 Milliarden Euro. 16. DezemberDer EU-Gipfel beschließt eine begrenzte Änderung des Lissabonvertrages und das Aufspannen eines permanenten Rettungsschirms für die Zeit ab 2013. 4. FebruarDer EU-Gipfel gibt grünes Licht für Merkels „Pakt für den Euro".Mit ihm verpflichten sich die Regierungschefs der Währungsunion zu Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. 14. FebruarDie Finanzminister der Euro-Staaten einigen sich darauf, den permanenten Rettungsschirm mit 500 Milliarden Euro verfügbaren Mitteln auszustatten. 15. MärzDie EU-Finanzminister segnen die geplante Reform des Euro-Stabilitätspaktes ab, die frühere und härtere Sanktionen gegen Defizitsünder einführt.Das Parlament muss der Reform bis zum Sommer zustimmen. 23. MärzEinen Tag vor dem EU-Gipfel bricht die portugiesische Regierung um Streit über ein geplantes Sparprogramm auseinander. 24. MärzDie Teilnehmer des Gipfeltreffens einigen sich auf das neue Euro-Rettungspaket. Quelle: dapd
Als die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu ihrem Gipfel zusammenkamen, standen sie unter großem Druck. Einen Tag zuvor war die Schuldenkrise mit voller Wucht zurückgekehrt. Nachdem sein Sparpaket im Parlament gescheitert war, reichte Portugals Ministerpräsident José Sócrates seinen Rücktritt ein. An den Finanzmärkten nahmen Zweifel wieder zu, dass das Land die selbst auferlegten Sparziele noch erreicht. Die Zinsen, die es auf neue Schulden zahlen muss, stiegen auf ein Rekordniveau. Neue Nahrung für die Vermutung, dass sich Portugal wohl schon bald zu Irland unter den Schutzschirm EFSF gesellen wird.
Mit ihrem neuen Regelwerk wollen die Regierungschefs verhindern, dass sich die Krise weiter zuspitzt. Als der Gipfel vorbei war, sprach Merkel von einem Durchbruch. „Damit ist ein Gesamtpaket entstanden, das ich für geeignet halte, um besser gewappnet zu sein“, sagte sie. Das Ergebnis stehe „für Deutschland in keinem Verhältnis zu den Milliardenzusagen“, sagte dagegen der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider.
Wie stark die Belastungen für den deutschen Steuerzahler werden könnten, zeigen die DIW-Berechnungen. Die Experten des Instituts unterscheiden drei Szenarien:
Szenario 1: Alles wird gut. Die Maßnahmen des EU-Gipfels zeigen Wirkung, die Finanzmärkte beruhigen sich, die Sparprogramme in den Krisenstaaten wirken. Nach Irland muss nur noch Portugal unter den Rettungsschirm. Beide Länder haben zusammen mit Griechenland einen Refinanzierungsbedarf von 23 Milliarden Euro im Jahr. Deutschland haftet dafür gemäß seinem vereinbarten Anteil mit jährlich 6,2 Milliarden Euro. Nach drei Jahren zahlen Portugal und Irland sowie Griechenland, das seine Hilfszahlung von seinen europäischen Nachbarn aus einem Extratopf erhalten hatte, auf einen Schlag all ihre Schulden samt Zinsen zurück.
Weil Deutschland drei Jahre auf das geliehene Geld verzichten musste, belaufen sich die Kosten auf 800 Millionen Euro. Hinzu kommt 2013 die erste von fünf Bareinlagen für den ESM, die Deutschland leisten muss. Diese zukünftigen Zahlungsverpflichtungen entsprechen zusammengenommen heute einem Wert von 20 Milliarden Euro. Streng genommen stellt die Einlage keinen Kostenfaktor dar, weil Deutschland gegenüber dem ESM eine Forderung in gleicher Höhe hat. Bleibt jedoch die Bareinlage für immer im ESM, summieren sich die faktischen Kosten in diesem Szenario auf rund 20,8 Milliarden Euro.
Bekommt der deutsche Staatshaushalt die Bareinlage nach ein paar Jahren zurück, weil der ESM überflüssig geworden ist, belaufen sich die Kosten auf gerade einmal 800 Millionen Euro. Das allerdings ist im Moment eine sehr optimistische Annahme.
Szenario 2: Umschuldung. Realistischer ist, dass Griechenland trotz Sparanstrengungen in die Pleite schlittert. Es kommt zu einer Umschuldung, bei der den Helenen 30 Prozent ihrer Schulden erlassen werden. Deutschland müsste 7,3 Milliarden Euro der Griechenland-Hilfen in den Wind schreiben. Immerhin: Nach der Umschuldung sinkt der griechische Kreditbedarf, wodurch die Hilfe für die Helenen billiger wird. Alles in allem summieren sich die Kosten für Deutschland inklusive der Hilfszahlung für Griechenland, Irland und Portugal und der Bareinlage auf 28,1 Milliarden Euro. Rechnet man die Bareinlage heraus, fehlen dem Bundesetat acht Milliarden Euro. Das entspricht einer Erhöhung des Rentenbeitrags um einen Prozentpunkt.
Szenario 3: Eskalation. Auch Spanien muss den Rettungsfonds anzapfen. Die Iberer zahlen ihre Kredite zwar nach drei Jahren zurück, dafür müssten neben Griechenland auch Irland und Portugal umschulden. Deutschland hätte ohne die Bareinlage einen Einnahmeausfall von 15 Milliarden Euro zu verkraften. Um diese Kosten aufzufangen, müsste beispielsweise die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöht werden. Rechnet man die Bareinlage hinzu, belaufen sich die Kosten auf 35 Milliarden Euro.
DIW-Konjunkturchef Dreger hätte sogar mit noch höheren Belastungen gerechnet. „Allerdings sind dies nur die unmittelbaren Folgen für den Staatshaushalt“, sagt er. „Die Verluste von Banken sowie die Folgen eines Vertrauensverlusts auf den Finanzmärkten nach der Umschuldung eines Landes sind nicht eingerechnet.“
Kommentar:
Dies war bestimmt nicht die letzte Euro-Reparatur
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