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Energiewende: Atomausstieg – Um zwei Uhr früh kam die Machtfrage
Auch Ausstiegsfragen sind Machtfragen. Eine Schlüsselszene dazu, über die tags darauf nur hinter vorgehaltener Hand etwas zu erfahren ist, spielt sich im Kanzleramt am Montag früh kurz vor zwei Uhr morgens ab. Da wird dem versammelten Koalitionsausschuss von CDU, CSU und FDP das endlich nahezu fertig verhandelte, sieben Seiten umfassende Ausstiegspapier zur Schlussabstimmung vorgelegt. Im Ausschuss sitzen die Partei- und die Fraktionschefs von CDU und FDP mitsamt der Landesgruppenchefin der CSU im Bundestag sowie die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, ferner die Generalsekretäre der Parteien und die zuständigen Fachminister, in diesem Fall Bundesumweltminister Norbert Röttgen.
Auf Seite 6 des Ausstiegspapiers ganz unten entdeckt dieser den Satz: Die Bundesregierung erstellt den Fortschrittsbericht – genauer gesagt: den Bericht über sämtliche Aspekte der künftigen Energieversorgung zwischen Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Röttgen merkt auf und fragt: Wer in der Bundesregierung betreut eigentlich federführend den Bericht? Sprich: Wer bekommt die Autorität, dessen Schwerpunkte und Medienaussagen zu formulieren?
Rösler und Röttgen streiten um Fortschrittsbericht
FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler antwortet ihm fast im Flüsterton: Der Wirtschaftsminister ist der Energieminister. Sprich: Die FDP will ihre politische Handschrift erkennbar machen. Schließlich liege die Kompetenz für den Netzausbau im Wirtschaftsressort.
Da habe Röttgen angefangen zu „röcheln“, wie ein Teilnehmer berichtet, und gesagt: Das sei nicht akzeptabel. Für erneuerbare Energien sei der Umweltminister zuständig. Aus der FDP erntet er Widerspruch. Angela Merkel wirkt auf Teilnehmer so, als neige sie zur FDP. Sie sagt schließlich, als Kanzlerin habe sie die Richtlinienkompetenz. „Dann mache ich den Bericht halt, wenn ihr euch nicht einigen könnt“, soll sie gesagt haben. Röttgen lässt nicht locker. Die Koalition hat ihre Kehrtwende in der Atompolitik besiegelt. "Welt Online" stellt die wichtigisten Beschlüsse vor. Enddatum
Die Masse der AKW soll bis 2021 abgeschaltet werden, drei AKW dürfen bis 2022 laufen. Altmeiler
Alle im Moratorium bereits abgeschalteten sieben Altmeiler sollen vom Netz genommen bleiben, das gilt auch für das neuere AKW Krümmel. Revisionsklausel
Der Ausstieg aus der Atomkraft ist nach Angaben der Koalition unumkehrbar. Es soll keine Revisionsklausel geben. Reservekraftwerk
Um auch im Winter Stromausfälle zu vermeiden, soll ein Altmeiler – vermutlich in Süddeutschland – für zwei Jahre bis 2013 als Reserve bleiben. Er soll aber erst genutzt werden, wenn auch alle anderen Reservekraftwerke nicht ausreichen. Die Verteilung der Kosten ist noch unklar. Laufzeitübertragung
Laufzeitübertragungen sollen von Krümmel möglich sein, ebenso die Restmengen des Reaktors Mülheim-Kärlich. Trotz dieser Option bleibt es aber beim Enddatum für den letzten Atommeiler im Jahr 2022. Endlager
Das mögliche Endlager in Gorleben soll weiter erkundet werden. Darüber hinaus vereinbarte die Koalition aber, dass allgemeine geologische Eignungskriterien festgelegt und „mögliche alternative Entsorgungsoptionen" geprüft werden. Kernbrennstoffsteuer
Die Kernbrennstoffsteuer bleibt, allerdings werden die Einnahmen nun rund eine Milliarde Euro jährlich niedriger ausfallen. Der Ökofonds wird von ihr nicht mehr gespeist. Gebäudesanierung
Das auslaufende Programm wird wieder belebt und ausgebaut: Ab 2012 sollen jährlich 1,5 Milliarden Euro aufgebracht werden, um die Zinsen für Kredite der staatlichen KfW-Bank zu senken. Zusätzlich sollen Dämmung und Modernisierung der Gebäude steuerlich besser abgeschrieben werden können. Dies kostet den Staat wohl im ersten Jahr weitere 150 Millionen Euro, Tendenz stark steigend. Ökostrom
Das Ziel der Verdoppelung des Ökostrom-Anteils auf 35 Prozent bis 2020 bleibt. Auf die Reform des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) konnte sich die Koalition noch nicht verständigen. Energie- und Umweltpolitiker dringen auf eine weitere Kürzung der Solarförderung, aber auch bei anderen Energiearten gib es noch Streit. Entlastung Energieintensiver Unternehmen
Die energieintensiven Unternehmen sollen bei dem Kohlendioxid-Zertifikatehandel entlastet werden. Ausgleichszahlungen bis zu 500 Millionen Euro sollen aus dem Ökofonds kommen, alles darüber hinaus aus dem Bundesetat. Kosten für den Bundesetat
Die Kosten der Energiewende für den Bundeshaushalt werden auf rund zwei Milliarden Euro jährlich geschätzt – unter anderem wegen der niedrigeren Einnahmen aus der Brennelementesteuer. Außerdem fließen künftig alle Einnahmen aus dem Zertifikatehandel in den Ökofonds – was ein Minus von 900 Millionen Euro bedeutet. Kraftwerksbau
Mit einem eigenen Planungsbeschleunigungsgesetz soll der schnellere Bau von Kraftwerken in einer Größenordnung von zehn Gigawatt bis 2020 ermöglicht werden. Welche Kraftwerke – etwa Gas, Kohle oder erneuerbare Energie – gebaut werden, ist in der Vereinbarung nicht festgelegt. Netzausbau
Die Regierung ist sich zudem über die Beschleunigung des Ausbaus der Stromnetze einig und hat sich auf ein entsprechendes Gesetz verständigt. Die Zustimmung der Länder wäre nach Ansicht der Regierung nicht nötig, aber man will den Konsens. Quelle: Reuters
Merkel bittet daraufhin FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler unter vier Augen vor die Tür. Nach kurzer Zeit kommt sie zurück und bittet Röttgen zu sich hinaus. Während beide draußen reden, hören drinnen manche CDU-Fraktionschef Volker Kauder Witze auf Röttgens Kosten machen.
Merkel kommt mit dem Umweltminister zurück und bittet nun ihren Koordinator, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, vor die Tür. Anschließend treffen sich dort draußen auf dem Flur noch einmal alle vier. Über alledem verstreicht eine halbe Stunde mitten in der Nacht.
Merkel redet, Rösler schreibt SMS
Schließlich kehrt das Quartett zurück, und es wird verkündet: Rösler (FDP) ist im Fortschrittsbericht für alte Energien zuständig. Röttgen (CDU) für erneuerbare. Und Verkehrsminister Ramsauer (CSU) bekommt auch ein paar federführende Berichtsaufgaben. Diese ganze Debatte findet dreieinhalb Stunden nach der Unterrichtung der Oppositionsparteien über den Inhalt des Ausstiegsbeschlusses statt. Als die federführenden Ressorts und damit die Machtfrage endlich entschieden ist, haben die Parteichefs seit Sonntagmittag bereits 13 Stunden im Kanzleramt verbracht. CSU-Chef Horst Seehofer wird dazu am Montagvormittag sagen: „Aus dem Zeitablauf können Sie zwei Dinge entnehmen. Es handelt sich um eine sehr komplexe Materie, und es waren sehr intensive Gespräche.“
Es waren zeitweilig auch sehr harte Gespräche, wie ein Teilnehmer andeutet. Noch eine Szene, die das beleuchtet: Philipp Rösler sitzt am Tisch und tippt, während Angela Merkel redet, unablässig in sein Handy. Merkel unterbricht sich plötzlich und sagt mit freundlicher Ironie zu Rösler: „Sie müssen mir keine SMS schicken, Sie können direkt mit mir reden.“ Rösler erwidert ohne aufzusehen: „Ich höre schon zu.“
Kritik am Ausstieg beim CDU-Vorstand
Die Unionsparteien sehen sich als Sieger des Koalitionsausschusses. Die Gremien reagierten dennoch unterschiedlich darauf. Horst Seehofer informierte das CSU-Präsidium bereits am frühen Morgen in einer Telefonkonferenz: Die Koalition habe im Wesentlichen die CSU-Beschlüsse aus der Klausurtagung im Kloster Andechs vor zwei Wochen nachvollzogen.
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte es schwerer: Für ihre Vorstandsmitglieder, die sich in der Berliner Parteizentrale versammelt hatten, waren der Bericht der Ethik-Kommission und die Beschlüsse des Koalitionsausschusses in einer Mappe vorbereitet worden. In der Debatte regte sich Widerspruch, der aber vor allem prinzipieller Natur war.
Josef Schlarmann, Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU, fasste seine Kritik so zusammen: „Das Papier hat planwirtschaftlichen Charakter und genügt ordnungspolitischen Ansprüchen nicht.“ Kurt Lauk, der Vorsitzende des Wirtschaftsrates, wirkte geradezu erschüttert und stellte fest: „Wir kriegen ein Preisniveau, wo wir Atomstrom importieren müssen.“
Intern hatten sich im Vorstand auch der ehemalige Finanzminister von NRW, Norbert Linssen, der sächsische Abgeordnete Arnold Vaatz und sein Ministerpräsident Stanislaw Tillich gegen die Vereinbarung ausgesprochen.
Sachsen ist die letzte Burg gegen die "Energiewende"
Bei der Abstimmung wagte nur Vaatz, der in der DDR wegen Wehrdienstverweigerung in Haft gesessen hatte, das Nein. Zwei Vorstandsmitglieder enthielten sich: Tillich, und Axel Fischer aus Baden-Württemberg. Die letzte Burg gegen die „Energiewende“ ist somit Sachsen: Denn auch der dortige liberale Parteivorsitzende Holger Zastrow hatte im FDP-Präsidium dagegen argumentiert.
Die FDP verbucht für sich als Sieg, dass Rösler im jährlichen Fortschrittsbericht so wichtige Aspekte betreut. Die Liberalen sind zudem vor allem darüber erleichtert, dass die mit der Laufzeitverlängerung eingeführte Brennelementesteuer bestehen bleibt. Sie steht mit jährlich 2,3 Milliarden Euro in der Finanzplanung.
Vor allem die Liberalen fürchteten, dass die Abschaffung den Spielraum für Steuerreformen weiter verkleinert hätte. Deshalb hat Rösler, der in der Runde neben Seehofer saß, den Abschaffungswunsch der CSU abgewehrt.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte am Montag: „Die Brennelementesteuer bleibt bestehen. Sie war und ist sehr stark auf Sanierungsmaßnahmen bei der Asse, also auf Folgekosten der Nutzung der Kernkraft hin ausgerichtet.“ Die FDP trieb auch die Sorge um, dass eine Abschaffung wie ein Geschenk an die Energiekonzerne hätte aussehen können, ähnlich wie 2009 die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers.
Nach der „Mövenpick-Partei“ wäre die FDP dann als „Eon-Partei“ gebrandmarkt worden. Allerdings dürften die Einnahmen aus der Steuer auf 1,3 Milliarden Euro schrumpfen. Die Erhaltung der Steuer scheint man nun mit dem Verzicht auf superteure neue Sicherheitsauflagen an die AKW-Betreiber zu flankieren.
Mindestens sieben Gesetze müssen neu formuliert werden
Die Anspannung auf allen Seiten war verständlich. Der Atomausstieg ist womöglich die größte gesetzgeberische Aufgabe seit der deutschen Einheit. Mindestens sieben komplizierte Gesetzeswerke müssen neu formuliert oder wesentlich abgeändert werden, vom Atomgesetz über das Energiewirtschaftsgesetz bis hin zur Verordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Gesetzgebung soll so rasch wie möglich durch den Bundestag und Bundesrat gehen.
Denn, so Seehofer mit Blick auf die japanische Katastrophe vom März, der „Autobahneffekt“ müsse vermieden werden: Je weiter man sich von einem Unfall entferne, desto weniger drastisch wirke er. Um die Herkulesaufgabe zu bewältigen, werden die Gesetze zeitgleich im Bundestag und Bundesrat eingebracht. So haben die Länder noch Zeit, sich mit ihnen zu befassen.
Würde zunächst der Bundestag allein abstimmen, wie es normalerweise üblich ist, könnte das Gesetzespaket der Länderkammer erst am 30. Juni zugeleitet werden. Am 8. Juli aber soll der Bundesrat bereits abstimmen. Zur Vorbereitung kommen am Mittwoch alle Länderkanzleichefs und am Freitag die Ministerpräsidenten ins Kanzleramt.
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| Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (30.05.2011)
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