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Machtpoker : Warum die Griechen Europa erpressen können
Dienstagnacht nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Kurz vor ein Uhr morgens lehnt das griechische Parlament das neue Sparpaket der Regierung Giorgos Papandreou krachend ab. Damit ist klar, der Premier muss zurücktreten, neue Hilfsgelder vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU wird es nun nicht mehr geben. Das Land gilt als zahlungsunfähig, auch wenn es noch keinen offiziellen Insolvenzantrag gestellt hat. „Die Folgen eines Staatsbankrotts wären so dramatisch, dass sie sich im Moment niemand vorstellen kann“, sagt Henrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie an der Hertie School of Governance. „Eine Insolvenz hätte gewaltigere Folgen als der Zusammenbruch von Lehman Brothers.“
Nach der Niederlage im Parlament steht eine ungeordnete Staatspleite unmittelbar bevor – das Schreckgespenst aller Anleger. Und nur wenige Minuten später öffnet die Börse in Tokio.
Ein Horrortag beginnt. Als die Händler die schlechten Nachrichten aus Athen erhalten, ist das der Beginn für eine beispiellose Flucht aus allem, was mit Griechenland zu tun hat. Innerhalb weniger Minuten brechen die Kurse an den Börsen ein. Banken, Versicherungen, Fonds, jeder, der bis jetzt noch Geschäfte mit griechischen Partnern gemacht hat, wird plötzlich wie ein Paria behandelt. Binnen Stunden friert die Liquidität an den Märkten ein. Keiner wickelt noch irgendwelche Kontrakte ab, weil keiner weiß, ob die Gegenseite diese Geschäfte überhaupt noch erfüllen kann. Schlimmer noch, plötzlich greift das Misstrauen in rasender Eile weltweit um sich. Die Anleger fürchten, dass Portugal, möglicherweise sogar Spanien in eine ähnliche Lage kommt. Weitere Kreditinstitute auf dem Globus geraten in den Sog der Krise. Ein Teufelskreis beginnt.
Es ist ein Szenario, das nicht eintreten muss, das vielleicht noch nicht einmal wahrscheinlich ist. Ausgeschlossen aber ist es nach den bekannten Äußerungen aller Beteiligten keinesfalls. Wenn Papandreous 155 Sozialisten am Dienstag im Parlament nicht zu ihrem Premier halten und der konservative Oppositionsführer Antonis Samaras trotz der Schelte durch die Kanzlerin und andere Staatsführer auf dem jüngsten EU-Gipfel in Brüssel nicht einlenkt, droht der GAU. Die „Welt am Sonntag“ zeigt, was Europa und der Welt dann bevorsteht.
Am Mittwochmorgen – lange bevor die Banken öffnen – sammeln sich Hunderttausende in Griechenlands Städten vor den Türen der Kreditinstitute. Nach diesen Nachrichten weiß jeder Taxifahrer in Athen, was jetzt auf seine Heimat zukommt: „Die griechischen Banken halten griechische Anleihen en masse“, erläutert Enderlein. „Wenn die Regierung nicht mehr zahlt, nimmt ihnen niemand mehr die Bonds ab.“ Auch die Europäische Zentralbank nicht, die sie bisher als Sicherheit für die Bereitstellung von Liquidität entgegengenommen hat. „Dann ist das Bankensystem tot“, sagt der Professor. Und Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, warnt bei diesem Worst-Case-Szenario vor den Folgen im gesamten Euroraum: „Anleger würden dann sofort fragen, ob Portugal, Irland und Spanien ihre Schulden bedienen können.“ Panik würde sich ausbreiten: „Die Anleger wollen dann einfach nur noch raus.“
Deutsche Banken halten nach Angaben der Bundesbank insgesamt mindestens 18 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen. So verteilen sich
die Engagements auf die deutschen Banken und Versicherungen... 1. FMS Wertmanagement, die "Bad Bank" der verstaatlichten Hypo
Real Estate (HRE): 10,8 Milliarden Euro 2. Commerzbank: 2,9 Milliarden Euro 3. Deutsche Bank inklusive der konsolidierten Postbank: 1,6 Milliarden Euro 4. LBBW: 1,4 Milliarden Euro (Stand: Sommer 2010) 5. Allianz: 1,3 Milliarden Euro 6. Munich Re: 1,1 Milliarden Euro 7. Erste Abwicklungsanstalt (EAA), die "Bad Bank" der WestLB: 1,1 Milliarden Euro 8. Ergo-Versicherungsgruppe: 1,06 Milliarden Euro (Stand: Ende 2010) 9. NordLB: 719 Millionen Euro 10. HSH Nordbank: 200 Millionen Euro 11. BayernLB: 121 Millionen Euro 12. Helaba: Weniger als 80 Millionen Euro Quelle: dpa Selbst die kleinen Sparer versuchen deshalb, so schnell es geht ihr Vermögen von den Konten abzuräumen. In einer Notverordnung verhängt der nur noch übergangsweise regierende Ministerpräsident sogenannte Bankfeiertage. Was nett klingt, heißt einfach nur: Keiner bekommt mehr Geld von seinem Konto. Rentner nicht, Arbeitnehmer nicht – und Unternehmen mit Geldern sowie Krediten bei heimischen Banken auch nicht. „Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit würden in Griechenland erst einmal alle Banken schließen, um einen Run zu verhindern“, sagt Ugo Panizza, Experte der UN-Handelsorganisation Unctad.
Spätestens jetzt schwappt das Chaos aus den Computern der Banken und Handelsräume auf die Straßen des gebeutelten südeuropäischen Staates über. Seit Wochen protestieren schon Zehntausende gegen das Spardiktat von IWF und EU. Plötzlich steigt die Zahl der Demonstranten bedrohlich. Sie liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Mancherorts schießt die in ihrer Wehrlosigkeit scharf. In vielen Orten gibt es Tote und Schwerverwundete. Auf den öffentlichen Plätzen herrscht die Revolte. Die Staatsmacht versucht mit aller Gewalt, Ordnung zu wahren.
Das aber ist erst der Anfang: Krankenhäuser können plötzlich keine Medikamente mehr kaufen, weil der Zahlungsverkehr im gesamten Land zusammengebrochen ist. Gleichzeitig wird der riesigen Beamtenschaft im Lande klar, dass ihre Bezüge und späteren Pensionen gefährdet sind. Jugendliche Banden rauben Geschäfte aus. Die Fernsehsender und Nachrichtagenturen vor Ort übertragen Bilder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in alle Welt. Vielerorts ist man entsetzt. Der Euro bringt den Bürgerkrieg, titeln ausländische Zeitungen. Und in Spanien, wo die arbeitslose Jugend seit Monaten ebenfalls gegen die Sparmaßnahmen demonstriert, nimmt man die Ausschreitungen als Signal. Die Spirale dreht sich weiter. Die Politik ist entsetzt. In aller Eile verabreden sich die Staats- und Regierungschefs für den nächsten Tag zu einem Krisentreffen in Brüssel. Die Notenbanken weltweit versuchen, die Kernschmelze im Finanzsystem einzudämmen, indem sie quer über den Globus wieder einmal irre hohe Milliardenbeträge an Liquidität in die Banken kippen.
Lehman Brothers lässt grüßen. Beim Treffen der Regierungschefs am Tag danach liegt eine Nacht voller Ausschreitungen hinter Griechenland. Die Börsen in Europa und den USA sind eingebrochen. Inzwischen trudeln auch US-Kreditinstitute, die mit Italien Geschäfte gemacht haben. Die Europäer drängen nach den Ereignissen den Papandreou-Nachfolger, die Reißleine zu ziehen.
Auf einer Pressekonferenz verkündet der Grieche die Wiedereinführung der Drachme zum Kurs eins zu eins zum Euro. Außerdem kündigt er an, mit den Gläubigern des Landes über einen Schuldenschnitt verhandeln zu wollen.
Die neue Währung verliert gleich am ersten Tag nach Einführung 70 Prozent ihres Wertes. Dass Griechenland gleichzeitig nur noch die Hälfte seiner Schulden bedienen will, spielt da schon keine Rolle mehr. Denn da die Staatsanleihen auf Euro lauten, ist der Schuldenberg der Griechen größer denn je.
Die verbliebenen Regierungen der Eurozone müssen nun verhindern, dass die Währungsunion zerbricht und die Wirtschaft in die zweite große Rezession binnen drei Jahren stürzt. „Eine Insolvenz Griechenlands würde die europäische und die deutsche Wirtschaft auf Talfahrt schicken“, warnt Ökonom Horn.
Dieser Fall muss nicht eintreten. Nur ausgeschlossen ist er eben auch nicht. Hertie-School-Experte Enderlein geht daher davon aus, dass die Europäer alles tun werden, „um den Bankrott zu verhindern, selbst wenn die griechische Regierung ihr Sparpaket nicht durchsetzen kann“. Das aber bedeutet, dass Griechenlands Eurozonen-Partner in einer denkbar schlechten Verhandlungsposition sind.
Gut vorstellbar ist, dass die Helfer aus Berlin und Paris, Brüssel und Washington den Geldhahn sogar dann noch nicht abdrehen, wenn die Griechen sich einfach weigern, ihren Beitrag zur eigenen Rettung zu leisten. Und es ist genauso wenig ausgeschlossen, dass einige Politiker in Athen in ihrem zynischen Machtpoker genau damit rechnen.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (25.06.2011)
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