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Meinung | Atomausstieg: Merkels atompolitische Kehrtwende ist kein Verrat
Einen „Ausstieg mit Augenmaß“ hat Angela Merkel angekündigt – und verwirrt, ja verärgert damit Teile der treuen Unionswählerschaft. Mancher wittert gar Verrat. Dabei hat Merkel schlichtweg angemessen auf die japanische Atomkatastrophe reagiert, selbst wenn bei dieser für sie ungewöhnlich raschen Kehrtwende Wahlkampfkalkül mitschwang.
Nun mag man darüber streiten, ob ein dreimonatiges Atommoratorium, eine Ethikkommission und allerlei verbale Girlanden der Weisheit letzter Schluss sind. Die offenkundige Grundrichtung der Kanzlerin aber ist folgerichtig. Hätte Merkel auf Fukushima nicht reagiert und stattdessen ihre bekannten Statements zur Atompolitik unverdrossen wiederholt, so wäre ihr dies selbst von den verbliebenen Atomanhängern kaum als höchste Staatskunst abgekauft worden.
Politik bestehe auch darin, auf Ereignisse zu reagieren, argumentiert Angela Merkel. Wer wollte ihr da widersprechen? So konsequent das neue Nachdenken ist, das die Kanzlerin verordnet hat, so naiv erscheint indes die neue Grundmelodie, die seit der japanischen Katastrophe erklingt und die da lautet: „Wenn wir das alles geahnt hätten …“
Auch Kohl und Schröder vollzogen politische Kehrtwenden
Die Schwäche von Merkels Atompolitik hatte sich weit vor Fukushima offenbart. Als die Bundesregierung die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängerte, klammerte sie ein Szenario wie in Fukushima aus. Politik aber muss, das erfährt diese Koalition derzeit auf ziemlich bittere Weise, eben nicht nur auf Ereignisse reagieren. Sie muss vielmehr vor Entscheidungen alle möglichen, ja, alle denkbaren Ereignisse erwägen und abwägen. Dies aber fand im „Herbst der Entscheidungen“ nicht statt. Wenn Angela Merkel nun im Bundestag den „Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit“ verkündet, hält sie dies offenbar für eine Neuigkeit. Das lässt einen erschaudern.
Trotzdem: Es wäre ein Glücksfall, wenn ausgerechnet die schwarz-gelbe Regierung einen konsequenten und raschen Atomausstieg beschlösse. Gerade die politisch „Unverdächtigen“ nämlich sind in der Lage, große Reformen durchzusetzen. Sie können politische Veränderungen glaubhafter vermitteln als die ohnehin Überzeugten.
Großdemonstrationen gegen Atomkraft gibt es in Deutschland seit mehr als 30 Jahren.
Eine Auswahl:
März 2011
Rund 60 000 Menschen demonstrieren in Baden-Württemberg für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.
Zwischen dem Sitz der Landesregierung in Stuttgart und dem zweitältesten Atomkraftwerk Deutschlands in Neckarwestheim bilden sie eine Menschenkette.
November 2010
Der Widerstand gegen einen Castor-Atommülltransport ins Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben ist heftig. Zu einer zentralen Protestveranstaltung in Dannenberg im Wendland kommen zwischen 25.000 und 50.000 Menschen. Sie reisen aus ganz Deutschland an.
Oktober 2010
An einer Anti-Atom-Demonstration in München nehmen nach Angaben der Organisatoren knapp 50.000 Menschen teil. Die Polizei spricht von 25.000.
September 2010
In Berlin demonstrieren den Veranstaltern zufolge bis zu 100.000 Menschen gegen die Atompolitik der Bundesregierung.
Die Polizei erklärt, die angemeldete Zahl von 30000 Teilnehmern sei deutlich erfüllt. Der Protest richtet sich gegen den Plan, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern.
April 2010
Rund 100 000 Kernkraftgegner protestieren mit einer 120 Kilometer langen Menschenkette zwischen den Meilern Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein gegen die Atompolitik der Bundesregierg.
Sie protestieren gegen eine mögliche Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken und fordern, Brunsbüttel und Krümmel endgültig stillzulegen.
September 2009
Unter dem Motto „Mal richtig abschalten" fordern Zehntausende in Berlin die Stilllegung aller Atomanlagen. Die Polizei spricht von 36 000 Teilnehmern, die Veranstalter von 50 000.
Juni 1986
In der Bundesrepublik demonstrieren mehr als 80 000 Menschen für einen Atom-Ausstieg. Die größte Protestaktion mit rund 40 000 Teilnehmern richtet sich gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Brokdorf (Schleswig-Holstein).
Mai 1986
In Südwestdeutschland und Berlin gehen insgesamt fast 30 000 Menschen gegen die Nutzung der Kernenergie auf die Straße.
März 1986
An Protesten gegen die Anlage im bayerischen Wackersdorf nehmen rund 100 000 Menschen teil.
Oktober 1985
In München demonstrieren Atomkraftgegner gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Die Veranstalter sprechen von bis zu 50 000 Teilnehmern.
Februar 1981
Rund 100.000 Menschen protestieren in Brokdorf.
Oktober 1979
In Bonn kommen nach Angaben des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umwelt 150 000 Menschen zu einer Demonstration.
März 1979
Mehr als 100.000 Kernkraftgegner versammeln sich in Hannover zu einer Demonstration gegen die Anlagen in Gorleben.
Februar 1977
Gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf in demonstrieren rund 50 000 Menschen.
Quelle: dpa
Wer jetzt Frau Merkel rein formalistisch begegnet und ihr vorwirft, sie vollziehe eine Kehrtwende, der sollte sich an andere Kehrtwenden etwa von Helmut Kohl oder Gerhard Schröder erinnern – und sich fragen, ob er diese einst ebenso kritisiert hat. Die Neupositionierung zu einem bedeutsamen Thema ist nicht per se negativ. Ohne Bereitschaft zum Wandel kann man sich gleich den Ausstieg aus der Politik verordnen.
Die SPD lehnt die Atomkraft erst seit Tschernobyl ab
Wenn sich nun die Physikerin Merkel von einer über Jahrzehnte vertretenen Politik distanziert, gerät sie in die komfortable Lage, ein breites Bündnis zu schmieden. Bekanntermaßen lehnten weite Teile des Volkes und die Oppositionsparteien schon vor Fukushima die Atomkraft ab. Sie müssen daher die Wenn-wir-das-alles-gewusst-hätten-Melodie der Herren Seehofer und Söder nicht anstimmen.
Die ablehnende Haltung zur Atomkraft, die die SPD vertritt, war übrigens – wie jetzt bei Merkel – Folge eines Lernprozesses. Die über Jahrzehnte hinweg atomeuphorischen Sozialdemokraten hatten den Ausstieg im August 1986 beschlossen – kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Die "Unverdächtigen" begannen mit dem Abbau des Sozialstaats
In der Vergangenheit hat mancher in den Unionsparteien das „Bekenntnis zur Atomkraft“ beschworen, was für einen Christdemokraten schon immer eine ziemlich bizarre Wortwahl darstellte. Diese absurde Kategorisierung wurde nur noch überboten von jenen, die die Atomkraft als „Markenkern“ definierten, sich mithin eines Begriffs aus der Werbesprache bedienten, um damit eine vermeintlich wertgebundene Haltung ausdrücken zu wollen. Diese „Markenkern“-Bekenner werden sich nun gegen den neuen Kurs von Frau Merkel auflehnen. All jene Kritiker der Atomwende werden sogleich für sich beanspruchen, sie seien konsequent, geradlinig und ließen sich nicht verbiegen. Welch Déjà-vu!
Ziemlich genau vor acht Jahren, im März 2003, verkündete der damalige Kanzler Gerhard Schröder eine Reform von Arbeitsmarkt und Sozialstaat. Jene „Agenda 2010“ brach mit langjährigen Überzeugungen und der Politik der SPD. Schröder stand damals mit dem Rücken zur Wand – und vollzog ebenso eine Kehrtwende. Die „unverdächtigen“ Sozialdemokraten also begannen den Sozialstaat abzubauen.
Sie gerierten sich als geradlinig und unbiegsam
Linke Sozialdemokraten wie Ottmar Schreiner und Andrea Ypsilanti attackierten den eigenen Kanzler, er verrate die Ideale seiner Partei. Mit ihrer strukturkonservativen Haltung beanspruchten Schreiner und Co., die einzig wahren Sozialdemokraten zu sein. Sie gerierten sich als geradlinig und unbiegsam.
Bereits im Jahre 1999 hatte die rot-grüne Koalition sich von langjährigen Grundüberzeugungen gelöst. Unter einem grünen Außenminister beteiligte sich Deutschland am Kosovo-Krieg, der von den UN nicht legitimiert worden war. Damals begehrten einzelne Grüne gegen den „Kriegstreiber Fischer“ auf. Diese Radikalpazifisten beriefen sich auf die grüne Programmatik der 80er-Jahre. Sie beschrieben sich als die einzig wahren Grünen. Sie gerierten sich als geradlinig und unbiegsam.
Doch es waren beileibe nicht allein linke Parteien, die eine nicht erwartbare Politik betrieben. Der deutschlandpolitisch „zuverlässige“ Kohl empfing im Jahre 1987 den damaligen SED-Generalsekretär Erich Honecker in Bonn. Die DDR-Hymne erklang, die „Spalter“-Flagge war gehisst. Der „unverdächtige“ Franz Josef Strauß vermittelte Ost-Berlin Milliardenkredite. Kohl und Strauß setzten damit etwa Reiseerleichterungen für die Menschen in der DDR durch. Einzelne Vertreter des Stahlhelmflügels der Union witterten Verrat – und gerierten sich als geradlinig und unbiegsam.
Die Unbiegsamen sind keine guten Ratgeber
Kohls Deutschlandpolitik und Schröders Reformen führten zur Entstehung zweier Parteien. Im Jahre 1983 gründeten ehemalige CSU-Abgeordnete die „Republikaner“, später zogen diese ins Europaparlament und in zwei Landtage ein. Im Jahre 2005 organisierte der einstige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die „Linkspartei“, seither nicht gänzlich erfolglos.
Angela Merkel und die Union stehen mit ihrer atompolitischen Kehrtwende vor einer epochalen Entscheidung. Ihre Folgen sind unabsehbar. Das sollte Frau Merkel aber nicht entmutigen. Die Unbeweglich-Unbiegsamen, die Geradlinigen und all jene, die nun „Verrat“ rufen, sind keine guten Ratgeber. Der breite Konsens aber, der ist eine Chance.
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (27.03.2011) W
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