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Meinung | Diplomatie: Deutsche Außenpolitik ist unberechenbarer geworden
Es war einmal ein guter Knecht namens Hans. Der diente seinem Herrn lange Jahre, und zum Abschied gab ihm dieser einen Klumpen puren Goldes. Hans zog davon, aber nach einer Weile wurde ihm die Last zu schwer zu tragen. Da begegnete er einem Reitersmann. Hans klagte ihm sein Leid, und der Reiter bot ihm für den Klumpen Gold sein Pferd an. Hans war mit dem Handel zufrieden. Doch nach einer Weile bekam er großen Durst. Da kam ein Bauer mit seiner Kuh des Weges. Der bot Hans, wenn er ihm das Pferd ließe, die Kuh an, so würde er Milch haben. Und so ging die Geschichte weiter. Die Brüder Grimm haben vor 200 Jahren alles getreulich erzählt. In dem Märchen verbirgt sich eine hintergründige Parabel über eine Reihe vernünftiger Entscheidungen, die Schritt für Schritt ins Debakel führen. Hans tauscht, bis er mit einem Stein zu Hause ankommt.
Deutschland hat in Berlin ein Auswärtiges Amt, einen Bundesminister des Auswärtigen, als Gegengewicht einen Bundesverteidigungsminister und, um alles zusammenzuhalten, die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin. Man könnte meinen, es sei alles zum Besten bestellt und deutsche Außenpolitik sei jederzeit erkennbar und in Aktion. Seit einiger Zeit allerdings beginnt die Gewissheit zu schwinden. Jeder Blick in internationale Zeitungen, in Konferenzprogramme und – wenn sie denn offen wären – diplomatische Berichte offenbart Zweifel, gefährliche Zweifel an Zielen und Mitteln deutschen Entscheidungshandelns.
Gut essen, ruhig schlafen und niemals allein sein
Deutsche Interessen, das ist die Lehre aus einem Jahrhundert der Krisen und Katastrophen, bedeuten noch immer: gut essen, ruhig schlafen und niemals allein sein. Dafür wurde die äußere Verfassung der Republik gegründet auf das Atlantische Bündnis, die europäische Integration und Theorie und Praxis des Vertrauenserwerbs. In den Zeiten vor der großen Zeitenwende 1989 gab es ernste Prüfungen. Als Helmut Schmidt noch Kanzler war und seine Partei in der Raketenkrise das Wackeln und Kapitulieren anfing, forderte er „Berechenbarkeit“.
Helmut Kohl meinte das Gleiche, als er in seiner ersten Regierungserklärung 1982 „Bündnisfähigkeit“ als Maxime deutscher Staatsräson voranstellte. Ob Schmidt oder Kohl, was beide meinten, waren nicht nur Nato-Beschlüsse angesichts existenzieller Sowjetbedrohung, sondern auch Werte und Verbindlichkeiten – und dass man sich durch dick und dünn aufeinander verlassen konnte. Kann irgendjemand glauben, den Deutschen wäre anno 1990 die Einheit zuteilgeworden, wenn sie heute so und morgen anders sich verhalten hätten? Wenn Bündnis-Strategien in die Luft geworfen worden wären? Wenn kleine Taktiken alle Strategie ruiniert hätten? Auch so, wie es kam, war es noch schwer genug. Aber das Vertrauen, das seit Konrad Adenauer aufgebaut und in nicht wenigen Krisen erhärtet worden war, reichte aus, um das Zwei-plus-vier-Abkommen über die endgültige Regelung der deutschen Verhältnisse in wenigen Monaten zu verhandeln, zu unterschreiben und umzusetzen.
Was heute manchen so scheint, als habe es nicht anders ablaufen können, war in Wahrheit ein Triumph der Staatskunst. Die entscheidende Bedingung war Vertrauen in Deutschland und die Deutschen, eingeschlossen die Politik. Das galt für den Generalvertrag mit Russland, für die Maastrichter Verträge, vor allem aber für die Ziele, Loyalitäten und Wertmaßstäbe der Zukunft. Gilt das auch heute noch?
Westerwelle erklärt die Grundrechenarten der Strategie
Als Guido Westerwelle als frischgebackener deutscher Außenminister zur ersten Reise Richtung Nato aufbrach, erklärte er staunenden Bündnispartnern erst einmal die Grundrechenarten der Strategie und dass alle verbleibenden amerikanischen Systeme aus Europa verschwinden müssten. Briten? Franzosen? Die strategische Abschreckung? Die Gleichgewichte Europas? Für den nuklearen Novizen nichts als blasse Theorie, bis er dann klein beigab.
Weiter ging es in der Libyen-Krise. Am 17.März verabschiedete der UN-Sicherheitsrat das Mandat für den bewaffneten Schutz der Bevölkerung gegen das Regime; Deutschland enthielt sich. Später, als der Schaden deutlich wurde, ließ das Kanzleramt wissen, es habe der Außenminister mit Mühe von Schlimmerem zurückgehalten werden müssen, obgleich doch die Kanzlerin die letzte Verantwortung trug. Dem Publikum wurde eingeredet, bei Zustimmung hätte man Soldaten nach Libyen senden müssen, obwohl der Text des Mandats eine Besatzung ausdrücklich verbietet. Soll man, drittes Beispiel, den panikartigen Atomausstieg hinzuzählen? 16. Februar 2011
Es kommt zu ersten Protesten in der zweitgrößten Stadt Bengasi gegen die Regierung von Staatschef Muammar al-Gaddafi. 20. Februar 2011
Berichte von bis zu 200 getöteten Demonstranten liegen vor. Die EU-Außenminister fordern Zurückhaltung von der Regierung. 21. Februar 2011
Ein Sohn von Gaddafi, Seif al-Islam Gaddafi, warnt vor einem Bürgerkrieg. Es kommt erneut zu Protesten in der Hauptstadt Tripolis. Erstmals setzt die Luftwaffe Kampfjets ein. 28. Februar 2011
Die Aufständischen nehmen die Stadt Sawija 50 Kilometer westlich von Tripolis ein. Truppen Gaddafis schlagen in den folgenden Tagen zurück. 17. März 2011
Der UN-Sicherheitsrat verhängt eine Flugverbotszone über Libyen, Deutschland enthält sich der Stimme. 21. März 2011
Die EU beschließt schärfere Sanktionen gegen Gaddafi. 30. April 2011
Der jüngste Sohn Gaddafis wird bei einem Nato-Angriff getötet. 24. Mai 2011
Die Nato fliegt die bisher größte Offensive auf Tripolis. 13. Juni 2011
Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (beide FDP) besuchen Bengasi und erkennen den Übergangsrat der Rebellen offiziell als Vertretung des libyschen Volkes an. Quelle: dapd
Der maßgebliche Industriestandort in Europa gefährdet seine Energiebasis, während der arabische Frühling sich noch lange nicht ausgetobt hat? Das Ganze ist eine Wette auf immerwährendes Glück, bezahlbares Erdöl und neue Gesetze der Chemie und Physik, die andere nicht eingehen. Eine gesamteuropäische Energiepolitik, seit Jahrzehnten dringend geboten, rückt ferner denn je zuvor – außer vielleicht im Zukauf von Atomstrom aus der engsten Nachbarschaft. Sichere Energie ist nicht alles. Aber alles ist nichts ohne sichere Energie.
Deutschland - das Schachbrett Europas
Die alte deutsche Frage ist wieder da, und in ihrer einfachsten Gestalt lautet sie noch immer: Wohin gehört Deutschland, wohin gehören die Deutschen? Es zählt zu den Besonderheiten der Lage des Landes mitten in Europa, dass die deutsche Frage, entgegen ihrem Namen, den Deutschen nie allein gehörte.
Spätestens seit dem Frieden von Münster und Osnabrück, der anno 1648 dreißig Jahre eines europäischen Bürgerkriegs auf deutschem Boden beendete, war die Verfassung Deutschlands Teil des ius publicum Europaeum, und zuerst Schweden und Franzosen und dann Briten und Russen beanspruchten Mitsprache an den deutschen Dingen.
Deutschland war über die Jahrhunderte immer Schachbrett Europas – und manchmal Schlachtfeld. Bismarck hat als Elderstatesman die unausgesprochenen Grenzen deutscher Souveränität angedeutet, als er in wilhelminischen Zeiten warnte, die deutsche Politik solle sich nicht „verhalten wie der Mann, der, plötzlich zu Gelde gekommen, auf die Taler in seiner Tasche pocht und jedermann anrempelt“. Hans im Glück hat seine Schüler in Berlin gefunden.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (05.07.2011)
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