Statistik |
Insgesamt online: 1 Gäste: 1 Benutzer: 0 |
|
Meinung | Intelligenz: Für Idioten sind wir bemerkenswert erfolgreich
Menschen – will heißen, andere Menschen – machen so dumme, leicht vermeidbare Fehler und scheinen einfach nichts daraus zu lernen. Wir sind vielleicht nach göttlichem Vorbild geschaffen, aber wohl erst am Samstagabend nach einer langen, harten Woche.
Das versetzt uns Menschen in die einzigartige Position, ständig von uns selbst enttäuscht zu sein und einen höheren Standard an logischem Denken und vernünftigem Verhalten zu erwarten, als wir tatsächlich erreichen können.
Sich irren ist demokratisch und egalitär
Wir entlarven die Einfältigkeit unserer Gegner mit Leichtigkeit und reiben sie ihnen unter die Nase – und fragen uns in grauen Morgenstunden manchmal, ob wir uns selbst denn weniger lächerlich benehmen. Sich irren ist demokratisch und egalitär:
Selbst wenn man die Meinungen hochgebildeter Menschen unter die Lupe nimmt, stößt man auf ein Flickwerk aus Hörensagen, Anmaßung, Vorurteil und Selbstgefälligkeit: Grundsätzlich Unlogisches findet man in den besten naturwissenschaftlichen Labors ebenso wie in der Fankurve eines Fußballstadions.
Wir lassen uns blind von Impulsen leiten und schieben anschließend Gründe für unser Verhalten nach. Wir unterstellen fernen Personen und Ereignissen, über die wir trotz globaler Medienberichterstattung so gut wie nichts wissen, bedenkenlos Motive.
Für Idioten bemerkenswert erfolgreich
Wir wechseln unseren Standpunkt und machen aus derselben Angelegenheit, je nachdem, wie es uns in den Kram passt, einen Tatbestand oder eine Prinzipienfrage („Ich bin ein wahrer Gläubiger, also muss mein Glaube wahr sein“). Hirnjogging macht schlau... So genannte Hirnjogging-Programme, die Gedächtnis und Gehirnleistung trainieren sollen, erleben derzeit einen Boom. In Amerika gibt es „Fitness-Studios" fürs Gehirn, in denen Menschen reihenweise vor Computern sitzen und durch das Spielen verschiedener Programme ihre Intelligenz steigern wollen. Die schlechte Nachricht: Es gibt kein Training, das den Menschen schlauer macht. Die gute: Bestimmte Gedächtnisfunktionen lassen sich sehr gut trainieren. Werden etwa Wortreihen regelmäßig auswendig gelernt, so wird der Spieler auch in genau diesem Bereich besser werden. Auch die Hinweise darauf, dass Sudoku-Spielen allgemein das Arbeitsgedächtnis oder die Wahrnehmungsgeschwindigkeit verbessert, seien bislang noch nicht bestätigt, erklären Hirnforscher. Das Sudoku-Spielen führe nur dazu, dass man im Sudoku-Spielen besser wird. Statt durch Hirnjogging kann der Kopf auch anderes trainiert werden: durch Fremdsprachen, musizieren oder soziale Kontakte. Meditation beruhigt den Kopf... So still und friedlich sehen meditierende Menschen aus, dass man kaum glauben kann, in ihrem Gehirn rege sich noch etwas. Weit gefehlt. Mithilfe von Hirnscans und Hirnstrommessungen fanden Forscher heraus, dass sich in den Köpfen meditierender Mönche viel mehr abspielt, als in denen von ruhenden Testpersonen. Bei den Mönchen waren besonders die Gamma-Wellen aktiv. Diese Wellen werden sowohl mit transzendentalen Erlebnissen als auch mit kognitiven Höchstleistungen in Verbindung gebracht. Ein zweites Ergebnis der Hirnforschung ist, dass es aufgrund von Meditation zu Veränderungen der Hirnsubstanz kommt. In verschiedenen Arealen des Gehirns sei es nach mehreren Wochen regelmäßigen Meditierens zu einer höheren Dichte von Nervenzellen gekommen, sagen amerikanische Forscher. Möglicherweise wachsen während der Meditation sogar zusätzliche Nervenzellen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr... Sigmund Freud hatte viel für die menschliche Psyche übrig und behandelte auch scheinbar hoffnungslose Fälle. Nur alte Menschen hielt er für nicht mehr therapierbar, da ihnen die „Plastizität der seelischen Vorgänge zu fehlen pflegt", sie also nicht mehr zu ändern seien. Heute dagegen berichten Psychotherapeuten, wie Hartmut Radebold, der inzwischen emeritierter Professor für Klinische Psychologie ist, dass Ältere über 50 Jahre sogar besonders gut zu therapieren sind. Studien zeigen, dass Menschen bis ins hohe Alter hinein lernen. Auch dass abgestorbene Hirnzellen nicht mehr ersetzt werden, ist wohl ein Mythos. Das Gehirn scheint sich Zeit seines Lebens zu verändern, dafür muss es allerdings auch trainiert werden – und zwar möglichst vielfältig. Mit Musik lernt sich's leichter... Schüler behaupten gerne, dass sie mit Radio oder einer CD im Hintergrund besser lernen können. Aber auch in Büros dudelt Musik und feixen smarte Moderatoren, während sich die Angestellten um ihre Arbeit kümmern. Das funktioniere meist nicht besonders gut, erklärt Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. „Hören und Lernen sind zwei verschiedene Tätigkeiten. Werden sie simultan ausgeführt, wirkt das belastender", sagt er. Ohne es zu merken, gebe man sich meist der Musik hin – auf Kosten des Lernens. „Eine Ausnahme besteht allerdings, wenn der Lernende müde und demotiviert ist", bemerkt Jäncke. Dann könne kurzzeitige Musik helfen. Es sei dann allerdings vermutlich besser, eine Pause zu machen, in der Musik gehört wird und anschließend frisch und munter wieder ans Werk zu gehen. Popgesang und Vokabeln vertrügen sich am schlechtesten, dagegen könne Musik beim Malen durchaus beflügeln. Mozart macht schlau... Etliche Fangruppen auf bizarren Seiten im Internet postulieren, dass das Hören von Mozart-Musik einen positiven Effekt auf Intelligenzleistungen habe. Dabei übersehen sie allerdings, dass die zugrunde liegenden Untersuchungen der Psychologen Frances Rauscher und Kim Ky, in Zusammenarbeit mit dem Physiker Gordon Shaw, bestenfalls Rückschlüsse auf räumlich-visuelle Fähigkeiten zulassen, jedoch keinesfalls auf den IQ. Des Weiteren entstand der vermeintliche Leistungseffekt von Mozart-Musik im Vergleich zu Ruhe- und Entspannungsbedingungen. Mehrere Untersuchungen führten zu der Hypothese, dass der Mozart-Effekt in den Fällen, in denen er sich nachweisen ließ, als Folge der höheren kognitiven Erregung und der besseren Stimmung der Versuchspersonen erklärt werden kann. Demnach gebe es auch einen Schubert-Effekt, einen Stephen-King- wie auch einen Kaffee-Effekt, erklären die Forscher. Pillen beflügeln den Geist... Die Wirkung von Hirndoping-Präparaten auf Lernfähigkeit und Hirnleistung ist umstritten. So erhöhte sich bei der Einnahme von Ritalin nicht nur die Aufmerksamkeit von Testpersonen, sondern auch deren Impulsivität. Durch voreilige Antworten schnitten die „Gedopten" schlechter ab als jene Teilnehmer, die nichts geschluckt hatten. Falsch ist auch die Behauptung, dass Hirndoping keine Nebenwirkungen habe. Das stimmt weder für Ritalin noch für Modafinil: Nach mehreren Zwischenfällen schrieb der Hersteller von Modafinil Ende 2007 in einem Brief an alle Ärzte, dass es bei Einnahme von Modafinil zu lebensgefährlichen Reaktionen und Halluzinationen, Manien oder Selbstmordgedanken kommen könne. Weitere Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Nervosität, Sehstörungen und Magen-Darm-Probleme. Auch Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, ein erhöhtes Schlaganfallsrisiko sowie das vermehrte Auftreten psychischer Störungen werden genannt. Unter Druck lernt sich's besser... Viele Studenten beginnen erst kurz vor den Klausuren mit dem Lernen und glauben, dass sie durch den Druck effektiver arbeiten können. Aber vielleicht haben sie es vorher einfach gar nicht probiert? Studien jedenfalls legen das entspannte Lernen nahe. Bei Stress werden verschiedene Hormone wie Cortisol und Adrenalin im Körper freigesetzt. Sie versetzen den gesamten Körper in einen aufmerksamen Zustand, bereiten ihn aber auch auf Bewegung, Kampf oder Flucht vor. Ein mittlerer Stresslevel könne sich durchaus positiv auf das Lernen auswirken und sei auch bei Prüfungen nicht von Nachteil, erklären Psychologen. Sobald ein gewisser Punkt allerdings überschritten ist, werden Inhalte nicht mehr gründlich verarbeitet und gespeichert. Daher sollten auch Eltern und Lehrer darauf verzichten, ihre Kinder oder Schüler unter psychischen Druck zu setzen. Entspannung und Ruhe helfen vor allem beim verstehenden Lernen und beim Lösen komplizierter Aufgaben. Sudoku gegen Alzheimer... Ein Spiel, 81 Kästchen – und eine unglaubliche Leidenschaft, die in Japan ihren Anfang nahm: Sudoku. Kann das Rätsel Alzheimer verhindern? Die Deutschen werden immer älter, die Fälle von Demenz nehmen stark zu. Was also tun? Die Antwort gaben 30 Neurowissenschaftler und Alternsforscher jetzt in einem Memorandum, in dem sie ihre Zweifel an den Hirn-Trainings veröffentlichten. Das Gehirn sei zwar wie ein Muskel, dessen Funktionen man mit Rätseln, Programmen, Gedächtnisspielen trainieren könne. Derzeit gebe es „keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass markterhältliche Software-Programme oder andere kognitive oder soziale Interventionen einer Demenzerkrankung tatsächlich vorbeugen oder verzögern" könnten. Wichtiger dagegen sei die körperliche Gesundheit, insbesondere die Kontrolle der Blutdruck- und Blutzuckerwerte könne positiv zur geistigen Leistungsfähigkeit beitragen. Sport macht dumm... Trainieren Sportler ihre Muskeln auf Kosten des Kopfes? Von wegen. Sport ist nicht nur für Kinder wichtig – er regt die Reifung des kindlichen Gehirns an –, sondern auch für Ältere, denn er beeinflusst offenbar den Abbau von Gehirnzellen. Körperliche Bewegung könne zur Steigerung der Hirnfitness beitragen, schreiben die Wissenschaftler des Stanford Center on Longevity und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in ihrem Memorandum. „Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass regelmäßiges körperliches Ausdauertraining die Hirndurchblutung steigert und die Bildung neuer Blutgefäße und Nervenzellverbindungen anregt", ist darin zu lesen. Ausdauertraining steigere die Aufmerksamkeit, das Denkvermögen und die Gedächtnisleistung. „Körperliches Training ist ein vielversprechender Ansatz zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit", sagen die Wissenschaftler. Zucker für die Nerven... Zucker als Nervennahrung – dass da etwas dran sein muss, zeigen ja schon die Schlangen vor den Süßigkeitenautomaten in Universitäts-Bibliotheken. Oder etwa nicht? Es ist eine Frage der Dosis, wie Ernährungsforscher wissen. Zu viel Zucker und Fett schaden dem Gehirn, wie Wissenschaftler an einem Experiment mit Ratten zeigen. Wurden die Tierchen mit stark zucker- und fetthaltigem Futter gemästet, bauten sie geistig ab und wurden anfälliger für Hirnschäden. Wichtiger als Zusatzpräparate, Zucker oder ähnliches scheint Trinken für das Gehirn zu sein. Ein bis zwei Liter am Tag sollen die Leistungsfähigkeit stärken. Aber erstaunlicherweise sind wir dennoch hier – die Herren der Schöpfung. Für Idioten sind wir bisher bemerkenswert erfolgreich gewesen: Unser großer Auftritt beginnt vielleicht mit einer Bananenschale, unser dramatischer Abgang endet möglicherweise in einem Kabuff, aber nichtsdestotrotz sind wir die Stars dieser Show.
Das Problem geht wie so manches auf die biblische Schöpfungsgeschichte zurück. Die Bibel lässt die Geschichte der Menschheit mit einem Patzer beginnen: Durch zeitweilig mangelnde göttliche Führungsaufsicht erkennt die Menschheit den Unterschied zwischen Gut und Böse.
Dieser Patzer ist der Urahn sämtlicher späterer Fehler, Irrtümer, Ausrutscher und Fehltritte – denn zu wissen heißt, die Wahl zu haben; und wählen zu können eröffnet die Möglichkeit, eine falsche Wahl zu treffen, falsche Annahmen zu machen und sich in fadenscheinigen Rechtfertigungen aller Art zu ergehen.
Von der Kriegserklärung bis zu Quizshows
Seit der Vertreibung aus dem Paradies sind Recht und Unrecht unsere treuen Begleiter geblieben, die über all die erhabenen und trivialen Dinge walten, die uns umtreiben, von der Kriegserklärung bis zum Erraten der Antwort bei Quizshows. „Wie es dem Narren geschah, so geschah es auch mir; warum war ich dann weiser?“ Salomon war weder der Erste noch der Letzte, der sich das fragte: Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch sind wir von grimmigen Propheten daran erinnert worden, dass unsere Unvernunft uns bald ins Verderben stürzen könnte.
Trotz dieser ständigen Warnungen können wir jedoch nie sicher sein, welcher unserer vielen Fehler fundamental ist, also derjenige, den wir bevorzugt abstellen sollten: Fleischgenuss in der Fastenzeit oder das Hungerproblem in der Welt? Trägheit oder exzessiver Energieverbrauch? Unsere zerbrochenen Familien oder unsere zerrissene Gesellschaft?
Vielleicht steckt hinter unserem Dilemma einfach ein Probabilitätsproblem: der inhärente Wahrscheinlichkeitsunterschied zwischen dem Einschlagen des einen rechten Weges und der vielen falschen Wege. Der Pfad der Tugend ist schmal, aber der Irrtum hat das ganze Gelände für sich. Auf der einen Seite haben wir das Valide, das Wahre und das Gute: wünschenswerte Ziele, aber eben nur drei.
Das Schlechte ist wahrscheinlicher als das Gute
Auf der anderen Seite sind es Legionen: Unsinn, Nonsens, Schmarren, Stuss, Blech, Humbug, Narretei, Torheit, dummes Zeug, Mumpitz, Quatsch, Unfug. Nachdem wir unsere wenigen Gebote niedergeschrieben haben, eröffnen sich uns Myriaden von Gelegenheiten, darauf zu pfeifen. Dies wurde von dem italienischen Wirtschaftshistoriker Carlo Cipolla in seinem Aufsatz „Die Prinzipien der menschlichen Dummheit“ klar herausgearbeitet. Wie Cipolla feststellte, ist das Schlechte statistisch wahrscheinlicher als das Gute.
Von den vier Kategorien des Menschen – die er als die Unbedarften, die Intelligenten, die Banditen und die Dummen bezeichnet – bestehen drei aus Personen, die aufgrund ihres Charakters dazu ausersehen sind, anderen und/oder sich selbst Schaden zuzufügen.
Konstanter Prozentsatz an Dummheit
In weiteren Befunden macht Cipolla deutlich, dass es in jeder menschlichen Gruppe (er schließt Professoren und Nobelpreisträger ausdrücklich ein) einen konstanten Prozentsatz an Dummheit gibt; er zeigt, dass jeder von uns die Menge dummer Individuen und ihre Macht, Schaden anzurichten, unterschätzt, und er unterstreicht, dass die Dummen von allen Gruppen am gefährlichsten sind, weil sie die Folgen ihrer Handlungen nicht beabsichtigen.
„Tagein, tagaus wird man bei seinem Tun permanent von dummen Menschen belästigt, die plötzlich und unerwartet an den unpassendsten Orten und zu den ungelegensten Zeitpunkten auftauchen.“ Der Irrtum ist durchdringend, allgegenwärtig. Er erscheint uns bei anderen offensichtlicher als bei uns selbst. Kein Wunder, dass im Lauf der Geschichte so viele Versuche unternommen worden sind, uns von ihm zu befreien.
Ellen Kaplan und ihr Sohn Michael sind Historiker und schreiben zusammen Bücher. Ihr neues Werk „Auf Fehler programmiert. Warum der Mensch irren muss“, aus dem dieser Auszug stammt, erscheint am 15. Juli im Rowohlt-Verlag.
|
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (09.07.2011)
W
|
Aufrufe: 291
| Rating: 0.0/0 |
|
|