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Meinung | Kein Parteiausschluss: Sarrazins Vorstoß endet in peinlichen Halbschwüren
Die Meinungsfreiheit wiegt schwerer als viele andere Rechte. Zum Beispiel das Recht von Partei-Funktionsträgern, die eigene Meinung brachial durchzusetzen. So gesehen ist die Rücknahme des Ausschlussantrags der SPD gegen ihr Mitglied Thilo Sarrazin ein im Prinzip gutes Ergebnis. Bundesparteichef Sigmar Gabriel und fast der ganze SPD-Bundesvorstand hatten den Rausschmiss befürwortet. Gabriel hatte Sarrazin mit harten Worten öffentlich als künftig untragbar attackiert. Die Volksmeinung war und blieb eine andere, auch unter SPD-Anhängern. Das machte offenbar Eindruck. Plötzliche Sinneswandel finden eben nicht nur bei der CDU/CSU statt. Sigmar Gabriel wird dem Land sicher erklären, warum der Ausstieg aus dem Ausschluss und die Parteibuch-Laufzeitverlängerung für den politisch radioaktiven Thilo Sarrazin ein sinnvoller Schritt war.
Sarrazin habe mit dem Buch keine Migranten diskriminieren wollen
Das im Prinzip gute Ergebnis kam zustande, weil Thilo Sarrazin eine Erklärung abgegeben hat, die ein halblauter Widerruf ist. Nein, er habe in seinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt; nein, er habe mit dem Buch keine Migranten diskriminieren wollen; nein, er habe nie die Absicht gehabt, SPD-Grundsätze zu verletzen.
Mögen die Götter wissen, wie diese Eindrücke dennoch aufkommen konnten. Vermutlich durch Interviews, die Sarrazin gab und in denen er die Richtung seines Denkens etwas schärfer umriss als in dem Buch. Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin darf Mitglied der SPD bleiben. Die Antragsteller, darunter die Bundes-SPD, hatten nach Beratungen der zuständigen Schiedskommission die Anträge auf Parteiausschluss zurückgezogen. Sarrazin hatte zuvor zugesichert, sich künftig an die Grundsätze der Partei zu halten. Die Erklärung Sarrazins im Wortlaut:
"1. Ich habe in meinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert. Ich habe in meinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt; der Vorschlag, Frauen in akademischen Berufen und anderen gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen Prämien zu gewähren, sollte diesen Frauen lediglich die Möglichkeit verschaffen, ihre Berufe und Tätigkeiten mit der Geburt eigener Kinder zu verbinden. Hiermit habe ich auch nicht die Vorstellung verbunden, diese Förderung lediglich Frauen mit akademischen Berufen oder mit bestimmter Nationalität oder Religion zukommen zu lassen. 2. Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren. Vielmehr sollten meine Thesen ... ... auch der Integration von Migrantengruppen dienen, die bislang aufgrund ihrer Herkunft, sozialen Zusammensetzung und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich stärker zu integrieren. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass diese Gruppen bei eigenen Anstrengungen und einer ergänzenden Bildungspolitik etwa aus genetischen Gründen nicht integriert werden könnten. Mir ging es also darum, schwerwiegende Defizite der Migration, Integration und Fehlentwicklungen der Demografie in Deutschland anzusprechen, eine fördernde Integrationspolitik und Demografiepolitik zu entwickeln und dafür insbesondere die vorhandenen Defizite des Bildungssystems zu überwinden. 3. Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, ... ... bedaure ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch dazu keine Veranlassung gegeben hat. Bei künftigen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit werde ich darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht mein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder stellen zu lassen." Quelle: AFP
Wie hätte man sonst erfahren, dass er nur auf Druck des Verlags den Begriff „Rasse“ vermieden hat, natürlich nicht im Nazi-Sinn. Die Erklärung ist ein bisschen wohlfeil, ein bisschen advokatisch, und kein bisschen provokant wie sonst, außer natürlich für Sigmar Gabriel, den SPD-Vorstand, und für solche Extremisten, die einzelne Sarrazin-Sätze aus dem Zusammenhang reißen wollten.
Sarrazin schafft sich in gewissem Maße ab, und die Erklärung ist mit ihrer nochmaligen Betonung des rein wissenschaftlichen Interesses am Thema Demografie, Bildung, Migranten deshalb zugleich ein bisschen unehrlich.
Peinliche Halbschwüre und unbehagliches Schweigen
Wissenschaft in solchen Gebieten ist nicht unpolitisch. Der Raketenkonstrukteur Wernher von Braun kommt einem in den Sinn, der nach dem Krieg als neugeborener US-Raumfahrtexperte verkündete „Ich ziel' auf den Mond“ (gemeint war: nur und immer schon), bis ein US-Entertainer trocken ergänzte „…aber manchmal treff' ich dabei London“.
Thilo Sarrazins gezielter und in mancher Hinsicht begründeter Vorstoß gegen politische Dogmen endet in peinlichen Halbschwüren und unbehaglichem Schweigen. Das ist die Kehrseite des im Prinzip guten Beschlusses, nach großen Ankündigungen doch die Finger von Sarrazins Parteibuch zu lassen.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (22.04.2011)
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